Jäger erledigen im Wald einen Wolf und finden kurz darauf einen nackten Jungen (Denis Murić). Ohne Ausweise, geschweige denn Hab und Gut, und unfähig zu sprechen, wird der Junge von einer Beamtin auf den Namen Haris Pućurica getauft und in ein Kinderheim in Belgrad gebracht.

So beginnt im Jahr 1988 die Erzählung des Jungen, die auf einer lückenhaft überlieferten Begebenheit beruht.
Mit viel Fantasie und Geschick musste die Geschichte um den mysteriösen Jungen, der scheinbar von Wölfen aufgezogen wurde, gestrickt werden.

Im Heim angekommen findet Haris, der fortan „Pućke“ genannt wird, nach anfänglicher Isolation und Häme der anderen Kinder in Zika (Pavle Cemerikic) einen Freund.
Er bringt ihm etwa bei, wie man eine Lampe einschaltet, was ihn schon bald retten soll.
Die Freundschaft der beiden hilft Pućke bei der Integration, bis Zika von seinem Vater abgeholt wird und ihn zurücklässt. Ein Jahr nach der Ankunft im Heim, als Zika zwischenzeitlich bei seinem Vater lebt, lernt Pućke erste Wörter zu sprechen und auf sich allein gestellt zurechtzukommen. Dies nutzen einige der anderen Jungs im Heim dazu, ihm etwa die serbokroatische Bezeichnung für „suck my dick“ beizubringen.

Zwei Jahre später macht sich die Libido bemerkbar, die sich auf die ehemalige Freundin Zikas, Alisa (Isidora Jankovic), projiziert. Diese ist mittlerweile aus dem Heim ausgezogen und verdingt sich als Tänzerin in einem Nachtclub.
Der Betreuer Vaspitac (Milos Timotijevic) nimmt sich über die Jahre viel Zeit für ihn und erweist sich als großherzig, als die Jugoslawienkriege beginnen und Pućke in ein bosnisches Arbeitslager geschickt werden soll.

Die Umsetzung der Jugoslawienkriege bildet einen würdigen Abschluss dieses Debütfilms(!) von Regisseur Ršumović, der mit Denis Murić einen Protagonisten gefunden hat, der es schafft, in neunzig Minuten eindrücklich den Werdegang eines wilden Tieres zum zerbrechlichen Jungen, und nebenbei die ganz gewöhnlichen Sorgen der Adoleszenz abzubilden.

Anders als etwa im Film „Boyhood“ (2014, Richard Linklater), in dem die jugendlichen Protagonisten über dreizehn Jahre bis ins tatsächliche Erwachsenenalter begleitet wurden und der im gleichen Jahr wie „Ničije Dete“ erschien, blieben für Ršumovićs Film nur fünf Wochen Zeit, um die Wandlung der, durch den vierzehnjährigen Schauspieler verkörperten, Figur des Pućke, über vier innerfilmische Jahre darzustellen.

Neben der Geschichte um das Findelkind regt der Film auch zum Nachdenken an, etwa über die alltägliche Tristesse inmitten des Heims, in der die Kinder perspektivlos aufwachsen, über das Grauen eines Krieges, oder auch darüber, ob Pućke lieber erst gar nicht aus dem Wald „gerettet“ worden wäre. Der Werdegang von Alisa mag zunächst klischeehaft wirken, fügt sich allerdings durch die bereits früher im Film illustrierte Desillusionierung der Jugendlichen stimmig in die Handlung ein.
Ein großer Film über Menschlichkeit, Liebe, Freundschaft und den freien Willen inmitten eines autoritären Staatsgebildes.

Update: Kaum verwunderlich hat „Ničije Dete“ den mit 10.000 Euro dotierten Preis als „Bester Film“ erhalten.
In der Begründung der Jury heißt es: „Der Film überzeugt sein Publikum durch eine starke Geschichte über einen Jungen, der vom Tier zum Menschen zivilisiert wird, während die Welt um ihn herum sich in die Gegenrichtung entwickelt“.

(Berichterstattung im Rahmen des goEast Filmfestivals 2015)

Bild: ©goEast