[1] Halb dabei, statt mittendrin.

Alleine stehe ich in einem Hotelzimmer. Das Telefon klingelt, der Fernseher geht an. Ich packe meine Kamera, eine Videokassette und meinen Presseausweis ein.

Wenige Minuten später befindet ich mich mitten in der blutigen Auseinandersetzung am 13. Januar 1991 in Vilnius, Litauen wieder. Menschen stehen in Gruppe und brüllen. Polizist*innen bedrohen Demonstrant*innen, schlagen auf sie ein und schießen um sich.

Das Ganze erlebe ich mit einer VR-Brille auf der Nase, zwei Controllern in den Händen und einem nervigen Kabel, das an meinem Rücken runterhängt. Ich bin da, in Vilnius, werde von Panzern fast umgefahren und Menschen rennen mich um. Ein Mann liegt angeschossen vor mir. Kamera festhalten oder dem Verletzen aufhelfen? Immer wieder will ich in Richtung andere Menschengruppen. Aber dann erscheint vor mir ein blaues Gitter und die Software macht mir klar: Hier ist die Grenze meines Mitgefühls. Halb dabei, statt mittendrin.

Sophie Kaupp

 

[2] Dilemma

Wir befinden uns im Jahre 1991 in Vilnius. Es ist der 13. Januar, der später als „Blutsonntag“ in die Geschichte der Sowjetunion eingehen wird. Im Fernsehen läuft eine Nachrichtensendung, plötzlich klingelt das Telefon, das Nachrichtengebäude wird gestürmt. Ich bin eine Reporterin, die über die Ereignisse berichtet. Ich schnappe mir meine Kamera und fahre zum Fernsehturm, um die Ereignisse aufzunehmen. Um mich rum werden Menschen angeschossen, verprügelt und getötet. Ein Mann fleht mich um Hilfe an. Was tue ich? Erfülle ich meinen Auftrag oder helfe ich dem armen Mann? Zählt hier die Menschlichkeit oder mein Job als Journalistin? Möchte ich den Menschen hier und jetzt helfen oder der Nachwelt die Situation der Lage dieses Tages nahebringen?
Das sind Dinge, die ich entscheiden muss, wenn ich CODE OF FREEDOM schaue. Denn es ist mehr als nur Schauen, es ist interagieren. Durch die VR-Brille befinde ich mich mitten im Geschehen, ein Panzer steht genau vor mir und richtet seinen Lauf auf mich. Ein Polizist rennt mit gezogener Waffe auf mich zu und ich vergesse tatsächlich kurz, dass ich mich in einer virtuellen Realität befinde. Die Macher werfen ihr Publikum in eine realistische Situation, die so tatsächlich passiert ist und führen ihnen ein Dilemma vor Augen. Das Publikum kann selbst entscheiden, wie die Handlung weitergeht und nimmt so bewusst Eingriff. Und gerade die Möglichkeit, das in VR zu erleben, macht es noch erfahrbarer.

Lena Pressler

 

CODE OF FREEDOM 1991
Andrius Lekavicius
Litauen 2018

CODE OF FREEDOM kann man als Virtual Reality-Film im Rahmen des OPEN FRAME AWARD Ausstellung im DFF Frankfurt und im Museum Wiesbaden sehen und erfahren.

Ort und Termine:
Museum Wiesbaden
11.04. bis 16.04. 

Öffnungszeiten: Di & Do, 10:00 – 20:00
Fr, 10:00 – 17:00 Sa bis Mo, 10:00 – 18:00

DFF, Frankfurt
03.04. bis 07.04. 

Öffnungszeiten: Mi, Do, Sa, So, 10:00 – 18:00 Fr, 10:00 – 20:00