Pebbles. Kieselsteine. Früher Gesteinsbrocken, die vom Wasser immer weiter hinabgetragen werden. Die einen weiten Weg auf sich nehmen, als mächtige Felsen in größter Höhe sind sie einmal von einem Berg abgebrochen. Nun machen sie sich auf einen langen Weg hinab. Vom Regen gewaschen, von der Sonne getrocknet, vom Fluss hinab getragen und von anderen Steinen geschliffen. Sie werden zu Kieselsteinen, die als Wegbegrenzung dienen oder womöglich auf dem Vorfeld eines Flughafens eine Gefahr darstellen. Hat sich jemand schon mal Gedanken gemacht darüber, was diese Steine für einen langen Weg auf sich genommen haben? Wie sie Jahre lang aus Mineralien und Ölen zusammengedrückt wurden, bis sie sich irgendwann, Millionen Jahre später zu einer harten Masse formiert haben? Und dann womöglich von den Erdplatten zu riesigen Bergen aufgetürmt werden? Wie sie zu Vulkanen werden können, die Feuer speien und das Leben tausender Menschen gefährden? Und nach Jahren und Kilometern der Reise landen sie als Sand im Meer. Nachdem sie sich gegenseitig gebrochen und geschliffen haben. Nur noch ein Millionstel dessen, was sie einmal waren, in Form von klitzekleinen Steinchen. Und irgendwann werden sie vielleicht wieder zu Steinen und Brocken zusammengedrückt.
Vermutlich kennt jeder die Situation, wenn man in der Bahn sitzt, inmitten von unbekannten Personen, und sich fragt: Was hat diese Person wohl heute erlebt? Wie sieht ihr Leben aus? Was sie wohl gerade denkt? Für den Bruchteil einer Sekunde kreuzen sich zwei Leben, die später wohl niemals wieder zusammenfinden werden. Wie zwei Geraden, die sich einmal treffen, und dann nie wieder. Manchmal findet man eine Notiz auf dem Boden und fragt sich, was sich ein Fremder hier wohl notiert hat.
Mit einem ähnlichen Thema hat sich der Regisseur Mikhail Zheleznikov beschäftigt. Er findet Passbilder oder filmt fremde Menschen auf der Straße. Doch während andere diese Bilder wegschmeißen würden, erzählt er eine Geschichte. Drei Geschwister, die sich am Meer treffen, eine Oma, die in Erinnerungen an frühere Zeiten schwelgt oder ein Fluglotse, der gelangweilt Steine umherkickt, um sich den Arbeitsalltag wenigstens ein bisschen spannender zu gestalten. Zheleznikov hingegen schreibt von  einem Mann, der die Flugzeuge vorm Abstürzen bewahren wird (was ja gar nicht passieren kann, wenn sie schon gelandet sind), während er an ein Mädchen denkt. Er macht sich Gedanken über Dinge, die wir vielleicht alle einmal denken, wenn wir vorgeben, nichts zu denken. Er reiht verschiedene Szenen aneinander, ohne genau zu erklären, was uns diese sagen wollen. Niemand kann sagen, welchen schweren Stein diese fremden Menschen mit sich herumtragen, wer sie gebrochen hat, wo ihr Leben begonnen hat und wo es enden wird. Das ist auch gar nicht wichtig. Denn am Ende legt Zheleznikov die Bilder der Fremden wieder an ihren Platz zurück und lässt sie ruhen.

Lena Pressler

PEBBLES
(KAMESHKI)
Mikhail Zheleznikov
Russland 2018
11 Min

Termin:
Sonntag, 14.04.2019, 14:00 Uhr, Festivalzentrum