„Ich brauche nur eine einzige Kugel“, sagt sie und streckt dem Mann im Geschäft ihre Hand mit der Pistole entgegen. Der Mann mustert sie und fragt, ob es ihr gut gehe. Wie immer antwortet Frau J. auf diese Frage mit der gleichen Lethargie in ihrer Stimme, wenn sie nach ihrem Seelenleben gefragt wird: „Ja danke, es geht mir gut“. Denn schließlich wird sie bald tot sein und hat demnach nichts mehr zu verlieren – oder?

Eigentlich ist Frau J. eh schon tot: ohne ein Lächeln, gar fast ganz ohne Mimik und Gestik oder emotionale Regungen schleppt sie sich durch ihren monotonen Alltag, der darin besteht, im Haus zu sitzen und zu warten, dass der Tag vorbeigeht und sich nicht um ihre zwei Töchter und ihre Mutter, die mit ihr unter einem Dach leben, zu kümmern. Während die eine erwachsene Tochter Geld verdient, den Haushalt schmeißt und die Rolle der Mutter übernommen hat, flucht die jüngere Tochter die meiste Zeit und lässt das Familienleben dadurch jederzeit eskalieren. Darauf lässt sich Frau J. nicht ein, und ihre Gleichgültigkeit macht die verworrenen Familienverhältnisse nicht gerade besser. „Ich kann nicht mal in Ruhe ficken, weil ihr mich jeden Tag in den Kopf fickt“, wirft die älteste Tochter der Mutter an den Kopf und beschließt auszuziehen. Das passt Frau J. natürlich nicht, da sie beschlossen hat, sich am Freitag das Leben zu nehmen und jemand auf die junge Tochter und ihre Mutter aufpassen muss.
In REQUIEM FOR MRS J. geht um das traurige Dasein einer Frau, die aufgrund der Trauer um ihren verstorbenen Mann ihr eigenes Leben nicht mehr wahrnimmt – denn mit dessen Tod vor einem Jahr, so scheint es, ist auch sie innerlich gestorben.

Mit einer Prise schwarzem Humor werden in REQUIEM FOR MRS J, dem zweiten Spielfilm des serbischen Filmemachers Bojan Vuletic, das Thema Selbstmord, dessen Vorbereitung, die damit verbundenen Hürden und die Folgen für die Hinterbliebenen auf bizarre Art und Weise verhandelt. In sechs Abschnitte unterteilt – Montag bis Samstag – erzählt der Film von den Vorbereitungen ihres Suizids und ihren letzten Tagen, die sich durch den bürokratischen Aufwand ihres Plans grundlegend ändern.
REQUIEM FOR MRS J. verhandelt ein schweres Thema, schafft es jedoch auf humorvolle Weise die Absurditäten der Planung eines Selbstmords aufzuzeigen und somit Leichtigkeit in den von Schwermut geprägten Film zu bringen.

Der Mann, von dem sie die Kugel bekommen möchte, rät ihr davon ab, sich mit der Pistole das Hirn aus dem Kopf zu pusten und schildert ihr die Vorteile einer Medikamentenüberdosis, denn das sei sauber und schmerzlos, und die Verwandten würden nicht überall Blut sehen. Soviel Pragmatik scheint Frau J. einzuleuchten.
Mit dieser Überlegung im Kopf fängt der Wahnsinn des bürokratischen Systems an, der sie auf Trab hält und plötzlich und unerwartet ihrem Alltag doch wieder Leben einhaucht.
Sie benötigt für die Medikamente ein Rezept, jedoch ist ihre Gesundheitskarte abgelaufen. Daraufhin muss sie zum Arbeitsamt und ihre Daten bestätigen lassen, was jedoch nicht klappt, da die letzten 10 Jahre ihrer Arbeitsstelle nicht protokolliert sind. Sie wird zu ihrem früheren Arbeitgeber geschickt, jedoch gibt es in dieser Akte auch wieder Mängel. Sie gerät in eine Spirale an Komplikationen.

Es sind solche absurden Szenen, die das schwere Thema des Films auflockern und die Absurdität der Bürokratie aufzeigen, gegen die Frau J.. immer wieder ankämpfen muss. Diese Hürden sind zum einen zeitaufwendig und zum anderen nervenaufreibend. Wie die Hauptfigur von einem Ort zum nächsten geschickt wird, erinnert einen an die fast unmögliche Aufgabe, den Passierschein A38 aus Asterix und Obelix zu bekommen.

Bojan Vuletic Film wirft große Fragen in den Raum: Was passiert mit Menschen, die eine geliebte Person verloren haben? Diese Frage stellt sich am Besipiel von Frau J., und deshalb sind wir als Zuschauer*innen auch so nah an ihr dran, weil wir spüren, dass etwas tief in ihr drin verzweifelt um Hilfe schreit, sie dies nach außen hin jedoch mit Gleichgültigkeit kompensiert.

Nach dem bürokratischen Scheitern steht sie am Ende wieder vor dem Mann, der die Kugel für sie bereithält. Letztendlich muss Frau J. überlegen, wie viel Trauer um einen Menschen das eigene Leben einnehmen darf. Sie muss sich schließlich über die Konsequenzen ihres Suizids klarwerden, denn mit dem Beenden des eigenen Lebens hinterlässt man wieder Menschen, die um einen trauern werden.

von Britta Rotsch

Gesehen beim 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films  als Teil des Spielfilm-Wettbewerbs.