Lautes Gurren, schlagende Flügel – über Lidias Telefonat legen sich die Störgeräusche eines Taubenschlags. Es geht um einen Brief mit Geld, der seinen Adressaten nicht erreicht hat. Eine fehlgeschlagene Kommunikation. Das Überbringen einer Botschaft ist nicht immer leicht und klappt schon gar nicht reibungslos. Auch die Arme des Geldflusses erreichen nicht jeden Winkel einer Gesellschaft – hier herrscht Armut.

Lidia köpft eine der Tauben und brät sie mit bloßen Händen über einer offenen Flamme. Die nächste schwierige Kommunikation steht bevor: Der Sohn kommt von der Schule nach Hause. Er sollte der Überbringer des Geldes sein. Doch wie Lidia die Taube am Ende rupfte, die ihre Kommunikation störte, wird der Sohn in die Mangel genommen und rückt schließlich den Teil des Geldes, den er noch hat, heraus. Doch Lidia ist ab diesem Punkt machtlos, das Geld ist nun mal weg.

Geld, Macht, Unrecht und gestörte Kommunikation – all das, wovon Vanatoare erzählt, steckt bereits im Mikrokosmos der ersten Szenen. Der Film berichtet chronologisch von einem Tag im Leben der drei rumänischen Sexarbeiter*innen Lidia, Denisa und Vanessa. Sie haben ein schweres Los, und das bereiten ihnen nicht unbedingt die Freier, sondern ihre Umwelt: In Rumänien ist Prostitution gesetzlich verboten, wer erwischt wird, muss Strafe zahlen. All das macht die Sexarbeiter*innen angreifbar für Denunzianten.
Zwei Frauen sind auf dem Weg zur Arbeit: Über das Gespräch zwischen Lidia und ihrer Freundin und Kollegin Denisa legt sich das laute Motorengeräusch des Busses. Man erfährt, was es mit dem Geld aus der Anfangsszene auf sich hat: Die Lehrerin von Lidias Sohn erpresst sie. Lidia wurde von ihr bei der Arbeit unter der Autobahnbrücke gesehen.

An ihrem Arbeitsplatz angekommen, einer lauten Straße unter einer Brücke, beginnt der Kampf um potenzielle Kunden. So solidarisch wie Lidia und Denisa miteinander umgehen, die gegenseitig aufeinander aufzupassen scheinen, geht es aber nicht die ganze Zeit zu. Es herrscht die Konkurrenz des Kapitalismus. Eine Dritte, die deutlich jüngere Vanessa, mit dem betörenden Aussehen von Penélope Cruz, geht offensiv auf Kundensuche. Wer meint, hier einen Generationenkonflikt zu sehen, liegt richtig, aber anders als zuerst angenommen. In einem Duell Lidia gegen Vanessa gewinnt die ältere Lidia den Kunden für sich. Aus einem ganz einfachen Grund: 30 statt 40 Lei. Wer den Währungsrechner konsultiert, erfährt: 30 Lei entsprechen knapp 7 Euro.

Doch die Straßenpreise sind nicht das größte Problem der Sexarbeiter*innen: Die Polizei macht ihnen das Leben schwerer, als es ohnehin schon ist. Die Strafzahlungen produzieren ein System der Korruption und Erpressung, in dem Beamte gegen eine gar nicht geschützte Berufsgruppe ihre Macht missbrauchen können – was zu sexueller Gewalt oder Erpressung von Geld durch Beamte führt. Das müssen auch die drei Frauen unter der Brücke in VANATOARE am eigenen Leib erfahren.

Der Film thematisiert nicht, wie furchtbar Sexarbeit ist, eher ist das Gegenteil der Fall: Die Frauen haben mit der Arbeit an sich kein Problem. Der einzige Freier, den man sieht, ist friedlich und nahezu höflich. Es sind die anderen, die ein Problem mit dieser Art der Arbeit haben – und der Staat. Doch genau wie Denisa sagt, ist es: „Ich bestehle ja niemanden, ich lutsche Schwänze und ficke für Geld.“ Etwas, das an sich legal ist, wird, lediglich, weil Geld zwischengeschaltet ist, plötzlich illegal. Doch durch Strafzahlungen werden die Sexarbeiter*innen nicht nur angreifbarer, es offenbart sich auch die Absurdität: Der Staat bereichert sich über ein Strafsystem an der Sexarbeit, statt sie zu legalisieren, menschlichere Bedingungen wie Krankenversicherung und -versorgung zu schaffen und reguläre Steuern aus dem Erwerb abzuführen. Mit Rechten kommen Pflichten, denen der Staat offenbar nicht nachkommen möchte.
Auf sehr klare Art und Weise formuliert sich ein klares Anliegen aus VANATOARE: Nicht die Sexarbeiter*innen müssen bestraft werden, sondern all jene, die diese unmenschlich behandeln.

von Thekla Stobbe

Gesehen beim LICHTER Filmfest Frankfurt International in der neuen Reihe „Zukunft deutscher Film“.