Mit SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES folgen wir dem Nachwuchsregisseur Julian Radlmaier in seinem Spielfilmdebüt augenscheinlich auf der Reise der Filmwerdung genau des Films, den wir in diesem Moment wahrnehmen. Ausgehend von seinem Problem, in Deutschland mit „ästhetisch und politisch radikalerem Zeug“ von der Filmförderung bedacht zu werden, entwickelt er eine Gesellschaftskritik, die er gekonnt aus der eigenen Lebenssituation ableitet. Die bedeutende Leistung seines Erstlingswerkes ist es, dies in eine konsequent gehaltene, von Scharfsinn und ästhetischem Gespür zeugende, filmische Form zu gießen, ohne diese dem Thema unterzuordnen.

Wir begleiten ihn dabei, wie er mit seinem heimlichen Schwarm Camille aus seinem gewohnten Habitat, der jungen Künstlerszene Berlins, auszieht auf eine Apfelplantage um sich dort zu einem neuen Film inspirieren zu lassen. Dort treffen die Zwei auf echte Proletarier, die sich der Arbeit dort nicht freiwillig aussetzen, sondern diese zum tatsächlichen Lebensunterhalt annehmen müssen. Vor diesem Hintergrund entwickeln sich philosophische Diskurse, in mal mehr und mal weniger komplizierte Worte gepackt, fixiert in starken Bildern.

Die ruhigen, langen Einstellungen, gefilmt mit einer starren Kamera und die Reduziertheit der Bilder, verschaffen dem Schauspiel und den Dialogen Platz. Es ergibt sich Raum zu denken. Raum, um nachzudenken über die Worte, die Fragen zu Kapitalismus, Globalisierung und Kommunismus. Raum, um das filmische Bild an sich wirken zu lassen – und das macht Spaß, denn Julian Radlmaier spielt mit den filmischen Möglichkeiten: Er nutzt die Raumtiefe und den Bildausschnitt, lässt sich Zeit und arbeitet mit Symmetrie, der Konstruktion von Zeit, mit Licht, Musik und Farbe. Rot. Rote Zwischentitel, rote Äpfel, rote Shirts, rote Leitern, rote Handschuhe, ein rotes Boot, rote Tischdecken, rote Schuhe, Mützen, Bücher, Tücher… überall finden sich Andeutungen, die auf die gesellschaftskritische Tonalität des Filmes zurückverweisen. Die barocke Musik legt sich wie eine Klammer um den Film und verleiht ihm im Zusammenspiel mit dem Voice-Over den Anstrich eines Märchens. In seiner kritischen, aber nicht unzugänglichen Art bildet er eine immer wieder ironisch zwinkernde Hommage an das Medium selbst, das mit den Ebenen der Realität spielt. Und er driftet nicht ab in den Linkskitsch, sondern thematisiert die Probleme der linken Utopie. Man muss sich einlassen auf dieses fordernde Werk, dass abseits steht vom deutschen Mainstreamkino.

Die Komplexität der visuellen Arrangements in Symbiose mit dem großen Informationsgehalt der Dialoge sind durch einmaliges Sehen kaum zu erfassen, doch dies verzeiht man dem Film, denn er macht Lust, ihn ein zweites Mal zu sehen und zu erforschen. Julian Radlmaier verspricht nicht zu viel, wenn er zu Beginn seines eigenen Filmes indirekt ankündigt, dass die nächsten anderthalb Stunden ästhetisch und politisch radikaler werden als allgemein aus Deutschland gewohnt. Die Radikalität liegt nicht darin, neue Wege zu erschließen, sondern Film als Kunstwerk die politische Bedeutung zurückzugeben und dabei gleichzeitig bereits bekannte Grenzen überhaupt wieder auszuloten, ohne ihn zu instrumentalisieren.

von Julia Pirzer

Gesehen beim 10. LICHTER Filmfest Frankfurt International als Teil der neuen Reihe „Zukunft deutscher Film“.
Bundesstart am 08. Juni 2017 in knapp 30 deutschen Städten. In Frankfurt zu sehen im Mal Seh’n Kino.