Als Wolke hat man‘s ohnehin viel leichter. Gleich zu Beginn schaut die Kamera in den Himmel und erblickt dabei eine besondere Wolkenformation. Wolken können jede Form annehmen, sind stets im Werden begriffen, ohne Mühe, Konflikt oder dergleichen. Mit Leichtigkeit können sie sogar die Form eines Hundes annehmen – Wolken sind alle großen Transformationen, jede magische Verwandlung im Nu möglich, während sie in der Realität der Gesellschaft undenkbar scheinen. Doch zum Glück nicht in Julian Radlmaiers Abschlussfilm von der DFFB mit dem schönen Titel SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES.

Es läuft nicht gut für den erfolglosen Jungregisseur Julian, der „Held“ des Films, der von Radlmeier selbst verkörpert wird. Mit seinem neuen Drehbuch kommt er nicht so recht voran und ob er jemals wieder Förderung für einen Film bekommen wird, ist unklar. Stattdessen beobachtet er lieber die schönen Kunststudentinnen vor der Bibliothek und lebt von Sozialhilfe, was er vor seinen Millenial-Künstlerfreund*innen lieber geheim hält. Um die schöne und immerzu neugierige Kunststudentin Camille, die er angeblich für seinen neuen Film gewinnen will, zu beeindrucken, verkauft er ihr seinen anstehenden Job auf einer Apfelplantage als Recherchereise für sein neues Projekt – ein Märchenfilm über die Schönheit kommunistischer Utopie. Zusammen mit Sancho und Hong, zwei gefeuerten und etwas trotteligen Museumsarbeitern, machen sie sich auf zur Apfelplantage. Zwischen Apfelbäumen und Stockbetten werden die großen Fragen politischer Theorie durchexerziert – und das fast immer mit den Mitteln der Komik.

Her mit dem schönen Leben!

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ist ein schriller und sehr komischer Film. So tritt beispielsweise die Plantagenbesitzerin wie bei „Tom & Jerry“ auf einen Rechen und fällt tot um. Allerdings geschieht dies im Off, wir bekommen die Slapstick-Komik nicht zu sehen. Sie funktioniert hier über die auditive Ebene und ist vorerst unserer Vorstellungskraft überlassen. Die Frau wird prompt für tot erklärt und das Kollektiv der Apfelplantagenarbeiter*innen berät sich über die weitere Vorgehensweise und natürlich die Zukunft, in der der Kommunismus installiert werden und doch endlich auch mal klappen könnte, jetzt wo die Eignerin an Produktionsmitteln ihr Leben verloren hat. Die Wünsche und Träume siegen und das Kollektiv entscheidet sich gegen die besänftigenden Ratschläge von Julian, der ja eigentlich der kommunistische Filmemacher sein will, und befindet: wenn schon Kommunismus, dann hedonistischer Kommunismus – und feiert ein Fest. Da bleibt Julian nichts übrig als trotzig sein Rollköfferchen hinter sich herziehend davon zu gehen, denn er ist überzeugt, Kommunismus funktioniert nur ohne Kommunisten. Kaum begonnen, ist der Kommunismus auch schon wieder vorbei. Die Plantagenbesitzerin ist von den Toten auferstanden (bzw. war gar nicht so tot), und befiehlt zurück zur Arbeit. Die Suche nach dem wahren Kommunismus, nämlich dem ohne Kommunisten, wird Sancho, Hong und Camille bis nach Italien führen.

Ist das jetzt Kunst oder kann das weg?

Die klaren, strengen Kadrierungen der durchweg statischen Kamera erscheinen fast wie „bewegliche Gemälde“ in denen sich die Figuren autonom bewegen können. Hier erinnert die totalenlastige Inszenierung in die Tiefe des Raums hinein nicht nur an die Klassiker von Renoir sondern auf gewisse Weise auch an die aktuellen Filme des schwedischen Filmemachers Roy Andersson (ohne Schminke, versteht sich). Und hier scheint irgendwie auch immer alles möglich. Aus dem Nichts betreten Figuren den Bildausschnitt oder verschwinden wieder, die Kamera folgt ihnen nicht. Klassische Schuss-Gegenschuss Aufnahmen, Kameraschwenks, Detailaufnahmen oder ähnliches sucht man ebenfalls vergeblich in diesem Film; die Figuren bekommen alle gleich viel (Film-)Raum innerhalb ihrer Einstellung geschenkt.

Neben den wiederkehrenden klassischen Klavier-Motive, deren Einsatz in anderen Filmen bieder oder schwermütig wirken würde, bekommt man bei Radlmaier zusätzlich noch die trashige Midi-Nintendo-Version der Internationalen mitgeliefert und konterkariert damit seine eigene bürgerliche Musikauswahl gleich selbst. Die heitere Leichtigkeit der ersten Hälfte verliert der Film gegen Ende hin etwas, aber das kann man dem Film kaum übel nehmen. Da ist einfach diese -fast schon unheimliche- Grundsympathie, die mich auch über die eine oder andere Länge gerettet hat. Und das obwohl mir beim Schauen immer wieder intuitiv die Frage in den Kopf schoss: Ist das jetzt Kunst oder sind das bloß Aneinanderreihungen von absurd-ironischer Situationskomik? Tatsächlich „ästhetisch-politisch radikaleres Zeug“, wie Julian im Film selber sein Schaffen beschreibt, oder nur die Bekenntnisse einer (selbst-)ironischen Hipsterseele? Vielleicht liegt das daran, dass es dem Film scheinbar so mühelos gelingt, gleichzeitig furchtbar alberner Klamauk und irgendwie todernst, eben Charlie Chaplin und (politischer) Essayfilm zu sein.

von Mischa Schneider

Gesehen beim 10. LICHTER Filmfest Frankfurt International als Teil der neuen Reihe „Zukunft deutscher Film“.
Bundesstart am 08. Juni 2017 in knapp 30 deutschen Städten. In Frankfurt zu sehen im Mal Seh’n Kino.