Slavoj Žižek sagte einmal: „Manchmal ist Pseudoradikalismus die schlimmste Form von Konformismus; er meint eigentlich gar nichts.“ In der Tragikomödie ALLES WAS KOMMT von Mia Hansen-Løve streiten sich Nathalie Chazeaux, die Hauptfigur des Filmes, und deren ehemaliger Schüler Fabien in einer Szene über den slowenischen Philosophen. Nathalie lehnt seine Ansichten ab, Fabien ist zwiegespalten, er will Žižeks Werk nicht generell verurteilen. Beide sehen sich selbst als intellektuell an und verkennen dabei doch, dass auch sie, genau wie der gesamte Film, zu eben diesem Pseudoradikalismus neigen. ALLES WAS KOMMT ist sicher ein intellektuell angehauchtes Werk, doch reiht er sich ein in die Reihe von „Arthaus-Wellness“-Filmen, die uns das französische Kino seit Jahren regelmäßig beschert. Filme wie „Willkommen bei den Sch’tis“, „Ziemlich beste Freunde“ oder „Monsieur Claude und seine Töchter“ liefern seichte Unterhaltung, bei der der Zuschauer scheinbar politisch aufklärerische Gedanken bekommt, dabei aber nur seine eigene, vorgefertigte Meinung reproduziert und unbewusst intellektuell unterfordert wird. Das wäre auch nicht weiter schlimm, würde der Film nicht in jedem Dialog einen Verweis auf ein politisches Thema liefern, sondern sich auf seine Stärken verlassen, die er zweifellos zu bieten hat.

Nathalie ist Lehrerin für Philosophie in Paris. Sie lebt mit ihrem Mann Heinz, mit dem sie seit 25 Jahren verheiratet ist, in gutbürgerlichen Verhältnissen. Die dramatischen Ereignisse, die ihr Leben schlagartig verändern, zeigt der Film etwas unbeholfen, aber angenehm unspektakulär: Nathalies depressive Mutter muss ins Pflegeheim ziehen, während ihr Mann sie für eine jüngere Frau verlässt. Weil die zwei Kinder von Nathalie und Heinz bereits erwachsen sind, erlebt Nathalie eine Freiheit, die ihr lange fehlte. Sie besucht einige Tage Fabien auf einer Landkommune, die von einigen jungen Intellektuellen bewohnt wird. Der Film schafft es, die Gefühle, die Nathalie und Fabien füreinander hegen, visuell umzusetzen, ohne dass die Figuren sie verbalisieren müssten. Keine der beiden ist allerdings radikal genug, den Altersunterschied zu ignorieren und sich den Gefühlen hinzugeben. Das scheint zwar realistisch, ist aber doch bezeichnend für einen Film, der auf seichtem Niveau verbleibt und die Leichtigkeit, der er -so scheint es- zu entfliehen versucht, nie ablegen kann.

Man möchte ALLES WAS KOMMT nicht zu stark kritisieren, da seine Stärken den Film zum kurzweiligen Vergnügen machen. Die Leichtigkeit mit der Mia Hansen-Løve die Geschichte um die einfühlsam spielende Isabelle Huppert gelungen konventionell inszeniert, die bewegungsfreudige Kamera und das dabei dennoch angenehm ruhige Erzähltempo machen den Film sehenswert. Vor allem die wunderschöne Musikuntermalung ist zu erwähnen, sie reicht von Schuberts „Auf dem Wasser zu singen“ bis zu Woody Guthries „Ship in the Sky“ und verstärkt die Atmosphäre von Einsamkeit, Altern und Verlassenwerden. Und dennoch enttäuscht der Film in der Gesamtheit auf einigen Ebenen. So bleiben alle Figuren neben Nathalie schemenhaft gezeichnet. Die Katze, die sie von ihrer Mutter übernimmt, zeigt noch am meisten Charakter, dient aber lediglich als Allegorie auf Nathalies Lebensweg.

Das größte Problem ist aber, dass der Film eben im „Arthaus-Wellness-Kino“ verbleibt, Schwierigkeiten zu verhandeln meint, die er sich aber nicht zu zeigen traut. Keine Figur hat mit Geldproblemen zu kämpfen, dass gute Pflegeheime teuer sind, wird lediglich in einem Nebensatz abgehandelt und auch die alternative Gruppe auf dem Bauernhof scheint von wenig Arbeit leben zu können. Zwar verzichtet der Film auf eine Richtungsvorgabe bei sozialen und philosophischen Themen – mit der Ausnahme eines fatalen Männerbildes, es scheint nicht möglich zu sein einen treuen Mann in der Geschichte zu zeigen – er bietet jedoch weder eine neue Idee noch eine gelungene Visualisierung der gegenwärtigen politischen Lage Frankreichs. ALLES WAS KOMMT ist kein unangenehmer Film, das kann man gutheißen, ihn mit einem Verweis auf Žižeks Haltung aber auch die schlimmste Form von scheinbar politischem Kino nennen: Es meint eigentlich gar nichts.

von Tom Luca Adams

Gesehen beim 10. LICHTER Filmfest Frankfurt International im Programm der regionalen Langfilme.

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