Wohnwagen. An jeder Ausfahrt einer. B494. Bunte Neonlichter in der Nacht.

Frauen in den Fahrerhäuschen, hinter Scheiben, wie Tiere im Zoo.

Ich habe mich immer gefragt, was Herzen aus Neonröhren oder Lichterketten an Bordellen sollen.

Was dort verkauft wird, ist doch keine Liebe. Die Symbolik erschließt sich mir nicht. Und wieso eigentlich Lovemobil?

Die Realität der Frauen, die hier arbeiten, können sich die meisten Menschen wahrscheinlich kaum vorstellen. Dabei wirkt es zu keinem Zeitpunkt, als wolle die Regisseurin Elke Magarete Lehrenkrauss generell ein schlechtes Licht auf Sexarbeit werfen oder den Beruf per se diffamieren. Vielmehr will sie den Frauen eine Stimme geben und zeigen, wie sie dort hinkamen, wo sie jetzt sind. Die Verhältnisse, die Familie, den Hintergrund. Wie schwer es ist, wieder herauszufinden, nachdem man erst hineingeraten ist, beschreibt Wohnwagen-Vermieter Manni pragmatisch: „Die anderen haben auch schon gesagt die gehen weg und nach ein, zwei Monaten kam sie alle wieder. Du weißt doch, auf was du dich eingelassen hast oder nicht?“

Wohnwagenbesitzer*innen unter sich, man kennt sich, man telefoniert. Uschi sagt, ihre Letzte sei weg, sie brauche eine Neue. Dass hierbei von Frauen und nicht von Gebrauchsgegenständen die Rede ist, erscheint unheimlich und stößt sauer auf.

Eine ist gläubig. Eine Mutter. Ein paar von ihnen rauchen. Wobei – eigentlich rauchen alle. Eine lügt ihre Mutter an, die andere ihre beste Freundin. Uschi kommt jeden Tag vorbei. 70 € Miete, egal wie viele Kunden da waren. Das Geschäft sei kaputt, wegen der Ausländer, sagt sie. Sie stellt noch weitere krude Thesen auf: 30 % der Afrikanerinnen seien für das Gewerbe „gezüchtet“ und 80 % der Männer Fremdgänger, notorisch. Früher habe sie selbst im Bordell gearbeitet. Bis sie zu alt war. Blättern durch ein altes Fotoalbum. Polaroids sind Zeugen einer anderen Zeit. Trotz ihrer sehr eigenwilligen Art und der diskriminierenden Aussagen kann sie auch liebevoll mit „ihren Mädchen“ sein und versucht ihnen ab und an ein offenes Ohr zu schenken. Wir erfahren, dass Uschi selbst von ihrer Mutter als Kind zur Prostitution gezwungen wurde. Der Film ist ehrlich und alles andere als einfach anzusehen. 80% der Leute, die anhalten, würden bei VW arbeiten, erzählt Uschi.

Der Dokumentarfilm lässt die Frauen selbst sprechen und gibt den Zuschauer*innen die Chance sich in sie hineinzufühlen. Rita lernt über eine App am Handy Deutsch. Sie habe das Mädchen gekannt, dass zuvor in dem Wagen gelebt hatte. Aus Nigeria sei sie über Italien hierher gekommen. „I got 99 problems and money is 99 of them“ – Sie will Geld verdienen, um sich um ihre Familie kümmern zu können. In der Zukunft möchte sie gerne heiraten und Kinder haben.

„Ist scheiße hier. Die Kunden ist scheiße. Alles ist scheiße. Ich will weg von hier“, sagt eine der Sexarbeiterinnen mit Tränen in den Augen, rauchend. Milena heißt sie, und kommt aus Bulgarien. Die deutschen Freier würden gerne Zigaretten auf ihr ausdrücken und sie schlagen, erzählt sie. Sie hat einen kleinen Bruder und kein richtiges Zuhause. Unter dem Vorwand, einen Job als Putzfrau für sie zu haben, lockte sie eine Bekannte irgendwann nach Deutschland. Mit der Hoffnung, Geld für sich und ihren Bruder verdienen zu können, gerät sie dabei allerdings Menschenhändlern in die Falle. Das Grausamste, das in so einem Moment denkbar ist, trifft ein: Sie wird gefangen gehalten, ausgenutzt und geschlagen, bis sie endlich eines Tages entkommen kann.

Rettungsfantasien à la Pretty Woman schwingen in den Film auch immer wieder mit. Ein Freier hätte sich in sie verliebt, erzählt Rita, und sie dann auf eine Party eingeladen, sich allerdings wie ein Idiot benommen. Uschi rät ihr, ihn zu vergessen. Ihr Ex-Mann habe sie in ihrem eigenen Bett betrogen, und sie vertraue niemanndem mehr.

Auf einer Bundesstraße im Landkreis Gifhorn wurde eine tote Frau in einem Lovemobil gefunden. „Sie haben meine Kollegin umgebracht. Erstochen mit einem Messer. Sie hat auch in einem Wohnwagen gearbeitet, ein paar Ausfahrten weiter. Sie hat Geld gespart für ihren Sohn. Sie war eine schöne Frau.“, sagt Milena.

Auch dazu kann Manni wieder nur „die Frauen wissen, worauf sie sich eingelassen haben“ herunter beten. Vielleicht ist das sein Mantra, das an die Stelle getreten ist, wo bei anderen das Gewissen sitzt. Doch die Angst, welche die Frauen bei Nacht alleine in den Wohnwagen haben müssen, wird spürbar. Wir sehen Ritas Blick, der seit Ankunft in dem Wohnwagen stetig leerer geworden ist, wenn sie sagt: „Ob ich die Nächste sein werde? Ich schlafe deshalb kaum noch. Eines Tages bekommt meine Mutter keine Anrufe mehr. Niemand würde mich beerdigen. Ich wäre nur eine weitere tote nigerianische Prostituierte.“

Ohne Erzähler*innenstimme aus dem Off und mit schrillen Lichtern in der Dunkelheit beschreibt der Film einen Mikrokosmos am Rande der Gesellschaft, mitten in Deutschland. Windräder. Acrylnägel. Rita nimmt ihre rote Perücke ab. „Ich bin müde. Männer sind ekelhaft, die benutzen dich.“

Milena will keine Familie. Nur ihrem Bruder eine bessere Perspektive geben und weg aus dem Wohnwagen. Als sie es endlich schafft, ihrer besten Freundin zu erzählen, womit sie wirklich ihr Geld verdient, ist der Schmerz groß. Doch die Freundin will für sie kämpfen, sie sei ihre Familie. Sie werde ihr einen Job suchen, versprochen! Die Zuschauer*innen gewinnen in diesem Moment einen Eindruck davon, welch großes Vertrauen zwischen der Regisseurin, ihrem Kameramann (Christoph Rohrscheidt) und den drei Frauen aufgebaut wurde. Mit ihrem Debüt hat es Lehrenkrauss in die Vorauswahl des Deutschen Filmpreises geschafft. Die Auszeichnung verdient hätten das Projekt und alle, die daran beteiligt waren, unbedingt.