Eine Klage war auf der diesjährigen Berlinale besonders oft zu hören: Frauen im Filmgeschäft sind unterrepräsentiert. Nur 2 von insgesamt 21 Beiträgen im Wettbewerb der 66. Berlinale sind von Frauen produziert worden. Ähnlich ernüchternd klingen die Statistiken, die der Bundesverband Regie vor zwei Jahren veröffentlicht hat: Nur ein Drittel der Fördergelder kam bis dahin Filmprojekten von Regisseurinnen zugute. Männer entscheiden sich nicht nur drei mal so häufig für die Arbeit in der Filmproduktion, sie werden auch häufiger gefördert. Die WOCHE DER KRITIK,  die 2017  zum dritten Mal parallel zur Berlinale stattfand, brachte im Beisein der Filmschaffenden Jutta Brückner und Abba T. Makama, den Kurzfilm SARAH WINCHESTER von Bertrand Bonello (HAUS DER SÜNDE, NOCTURAMA) auf die Bühne. Der Diskussionsabend, der sich den heutigen Produktionsbedingungen von Film widmete, wurde damit auch zu einem Diskussionsabend über die Rolle von Gender im Feld der künstlerischen Arbeit.

Doch zuerst schien es im neusten Werk von Bonello um was anderes zu gehen: Wie reagiert eine Künstlerin, wenn die eigene Oper nicht die Chance bekommt, jemals aufgeführt zu werden? Bedauern? Rebellieren? Weitermachen? Die namenlose Tänzerin (gespielt von Marie-Agnès Gillot) entscheidet sich für Letzteres. Sie will die Geschichte der Sarah Winchester auf die Bühne zu bringen. Vor ihr stehen jedoch nur leere Stühle. Im Publikum sitzt niemand. Nur der wortkarge Tonmeister versetzt seinem Sound noch den letzten Feinschliff.

Bonello hat ein Gespür für Andeutungen und ausdrucksvolle Gesten, dadurch kommen seine Szenen fast ohne Dialoge aus. Seine Figuren schaffen es durch Stille eine bedrückende Stimmung zu transportieren, die nur manchmal von den Zeilen eines Chors unterbrochen wird: „Sarah, her grief, her madness, her home and her ghosts“. Wie ein Mantra legen sich diese über die gesamten Szenen und verleihen ihnen die geisterhaft apathische Ästhetik, die man auch braucht um die Geschichte der verwitweten Gräfin „Sarah Winchester“ zu erzählen: Von ihrer Trauer und der Überzeugung, dass über dem eigenen Heim ein Fluch liege und von dem neuen Haus, dass sie erbaute. Zudem sollte Winchester die Arbeiten an diesem niemals beenden, denn sonst müsse auch sie sterben, prophezeite ihr ein Wahrsager. Also baute sie immer weiter. Aus diesem bizarren Vorhaben resultierte später ein imposantes Anwesen, dass bis heute als Museum für Touristen fungiert und eine Geschichte, die schon Stephen King und Mark Atkins grundständigen Stoff für Horrorfilme bot.

Dabei ist das Tragische an Sarah eigentlich nicht das Haus, dass sie  nahezu zwanghaft um sich herum baute, sondern die Ängste, die sie ein leben lang in ebendiesem gefangen hielten. Winchesters Werdegang ist nämlich auch die Geschichte einer Frau, die Sklavin ihrer eigenen Furcht geworden ist. Und auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, hat  Sarah viel mit der Operntänzerin im Film gemeinsam. Während der Tanzproben folgt die Kamera laufend den Bewegungen des zähen, muskulösen Körpers, der oberflächlich Selbstbewusstsein und Macht imaginiert. Aber selbstbewusst oder gar sogar mächtig ist die Tänzerin eigentlich nicht. Nach jeder Probe wirkt sie verzweifelt. Unsicher bittet sie den Tonmeister um sein Urteil. Er aber verzagt schweigend hinter seinem Mischpult. Leise merkt er nur an, dass eben das Traurigste an dem Stück sei, dass es nie an die Öffentlichkeit schaffen werde. Und dann wirkt es so, als wäre jede Mühe, die in diese Oper investiert wird, umsonst gewesen. Der Zuschauer erfährt nicht warum die Tänzerin trotzdem weitermacht, sich in den Kreislauf von Training und Selbstzweifel begibt, aber keinen Versuch unternimmt, aus diesem auszusteigen.

In auffallender Parallele spielt diese surreale Tendenz zur Unaufhörlichkeit eine Schlüsselrolle in Bonellos Film: Winchesters Arbeiten am Haus enden nicht, die Oper wird immer weiter geprobt aber nicht aufgeführt. Beide Frauen erleben, dass ihre Tätigkeiten zu keinem Ziel führen. Ein Ergebnis, dass Rückschlüsse auf ihr Können ermöglicht, gibt es nicht. Winchesters Schicksal wird durch die Worte des Hellsehers besiegelt und die Oper der Tänzerin steht und fällt mit dem Urteil des Tonmeisters. Doch wenn die Frauen sich nur durch die Augen der Anderen sehen, wie sollen sie dann selbst sehen lernen?

Bertrand Bonello macht mit SARAH WINCHESTER zweierlei deutlich: Aus Angst entstehen manchmal beeindruckende Dinge, doch Kunst wird nicht zuletzt aus Mut gemacht. Dafür braucht es allerdings faire Bedingungen und eine Öffentlichkeit die verschiedenen Akteurinnen und Akteuren Präsenz und Chancen bietet. Die Diskussion um Gleichberechtigung und Sichtbarkeit ist elementar und wird nach der Berlinale bestimmt noch lange nicht abklingen.

von Elin Grønhaug

 Gesehen auf der 3. WOCHE DER KRITIK in Berlin.