„Miele“ ist Italienisch und heißt übersetzt „Honig“. So nennt sich Irene, die junge Protagonistin des Debütfilms von Valeria Golino, der ebenfalls jenen Namen trägt. Irenes Deckname ist nötig, da sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, todkranken Menschen ihre letzte Ruhe zu schenken. „Illegale Sterbehilfe“ heißt das in der Rechtssprache und muss deswegen vollkommen unter der Hand ablaufen.

Irene führt ein Leben wie ein Drogendealer. Sie erfindet regelmäßig Lügen und Ausreden, die sie ihrem Vater, ihrem Liebhaber und ihren Freunden erzählt, um nach Mexico zu fliegen, wo sie das tödliche Lamputal einkauft. Mit in die Stirn gezogener Mütze und entschlossenem Blick tritt sie immer wieder diese Reise an. Sie besitzt ein zweites Handy, auf dem sie von ihren Mitstreitern angerufen wird, die sie an neue Kunden vermitteln, die zuhause auf die langersehnte Lieferung warten. Irene dealt mit dem Tod. Diskret, vorsichtig und professionell.

Irene trifft bald auf einen besonderen Kunden. Einen, der nicht abhängig von der Droge des Todes, und gebeutelt von Entzugserscheinungen auf die Erlösung wartet, sondern einen, der einfach den Rausch sucht. Aus Langeweile. Einsamkeit. Sinnlosigkeit. Der 70 jährige Carlo Grimaldi leidet unter etwas ganz anderem als Irenes bisherige Kundschaft. Einer Krankheit, „die man nicht sehen kann“: Er ist des Lebens überdrüssig. Er will nicht mehr. Obwohl er noch kann.

Irene stößt an die Grenzen ihres sorgsam zusammengestellten und mit guten Absichten untermauerten Rechtfertigungs-Gerüsts. Wer entscheidet wer stirbt? Und wann? Wie viel ist sie wert, die Selbsterklärung, die jeder Kunde und jede Kundin, vor ihrem gewünschten Ableben schreiben und unterzeichnen muss? Für Irene eine ständige Gradwanderung. Manche sehen sie an, als hätte sie der Himmel geschickt. „Was für einen Scheiß Job Sie haben!“, bekommt sie von anderen zu hören.

In kurzen Einschüben macht der Film eine Exkursion in Irenes Erinnerungen. Erinnerungen an ihre Mutter, die selbst an einer tödlichen Krankheit starb. Die drückende Stille einer weißen Schneelandschaft wird nur durch gedämpftes Lachen eines kleinen Mädchens durchbrochen. Die junge Irene, die mit ihrer Mutter Ski fährt. Der Schauplatz ist so weiß und so still, es ist fast unerträglich. Der Schnee legt sich schwer und kalt auf das, was da einmal gelebt hat. Irene und ihre Mutter vergnügen sich inmitten von toten Bäumen und dem weißen Nichts. Die Erinnerung ist eine Zwischenwelt. Ein ewiger Zustand, jenseits von Leben und Tod.

Als „Miele“ ist Irene selbst kaum lebendig. Sie wirkt wie ein Abbild. Durch Fensterscheiben und Schattenspiele folgt ihr die Kamera durch den sanft dahin gleitenden Film. Sie ist ein Phantom. Losgelöst von Zeit und Raum, als wäre sie der Tod selbst. Das Lebendig Sein scheint sie verlernt zu haben. Ihre Begegnung mit Carlo Grimaldi bringt nicht nur ihre Berufswelt durcheinander, sondern lässt auch ihr Herz schneller schlagen. Ängstlich liegt sie auf der Liege einer Arztpraxis und betrachtet ihr Herz auf dem Monitor des Ultraschalls. „Warum macht es das?“ fragt sie verstört. Doch ihr Herz schlägt ganz normal. Dass es das noch tut, scheint zu genügen um Irene zu überraschen, ja sogar in Angst zu versetzen. Sie zählt, anders als ihre Mutter, immer noch zu den Lebenden.

Honig ist vielleicht das einzige Lebensmittel, das niemals ein Verfallsdatum erreicht. Jahrhunderte alter Honig ist heute genauso genießbar wie zur Zeit seiner Herstellung. Der Titel „Miele“ ist gut gewählt. Wer Irenes Leistungen in Anspruch nimmt, probiert ein letztes Mal vom bitteren Leben. Die Erlösung durch den gewünschten Tod ist dagegen süß. Süß und ewig. Wie Honig.