Das Begriff „Macht“, mit welchem das Lichter Filmfest in diesem Jahr sein Programm überschrieben hat, findet sich in den verschiedensten Formen wieder, seien es politische, persönliche oder körperliche. Gemein ist einigen dieser Filme (unter anderem „Barcurau“, „Kabul, City in the Wind“ und „Deerskin“), dass sie Macht immer als ein Verhältnis zwischen etwas oder jemandem Bestimmtes verstehen. Wenn man diese Idee weiterverfolgt, dann entsteht der Gedanke, dass Macht immer auch ihre Abwesenheit, nämlich Machtlosigkeit, impliziert. Diesem Thema widmet sich ein kleines Kurzfilmprogramm, das eben diesen Begriff als Titel trägt, und das sich mit Machtlosigkeit auf der Ebene des Verhältnisses zur Welt auseinandersetzt.

So zeigt der Animationskurzfilm „Genius Loci“ von Adrien Merigeau gezeichnete Bilder in der Gedankenwelt der verzweifelten jungen Reine, die von der chaotischen Welt überfordert ist. Dabei ändert sich das Bildformat und die Form der Animation immer wieder, nur in seltenen Fällen bleibt der Film wirklich an einer Stelle stehen. Von dem Moment an, in dem Reine ein Wasserglas umkippt, verfällt der Film dem Chaos, das in ihrem Kopf herrscht. Dieses Chaos bildet der Film aber nicht als pure Unordnung ab, sondern vielmehr stellt sich der Eindruck ein, dass hier das menschliche Denken, das alles andere als geradlinig verläuft, abgebildet wird. Die Gedanken gehen durcheinander, diverse Zeichen und Symbole fliegen über den Bildschirm.

Der Film entwickelt hier eine sehr spannende visuelle Idee, die vor allem auf Überwältigung beruht. Machtlosigkeit ist ein Scheitern an der übermächtigen Welt, deren Eindrücke Reine gar nicht mehr wirklich verarbeiten, sondern sie nur noch als Affekte aufnehmen und an sich und uns vorbeiziehen lassen kann. Schließlich trifft sie eine befreundete Organistin, nur um dort in den nächsten Rausch zu geraten. Sie verwandelt sich in eine Hündin und versucht aus der Leinwand auszubrechen, doch die Form gestattet keinen Ausbruch. Dafür ermöglicht sie ein sehr tiefes Erleben und vielleicht sogar Verstehen der chaotischen Seele Reines. Am Ende des Films kann sie nur durch die Umarmung ihrer Freundin gerettet werden, und hier ist der Filme dann sehr hoffnungsfroh, weil das schlimme Gefühl der Machtlosigkeit manchmal durch das Zusammenfließen zweier Körper zumindest betäubt werden kann.

Um Körper geht es auch in „Where is my body?“ von Julian Pedraza, insbesondere um deren Darstellung in südamerikanischen Telenovelas der 80er Jahre. Der Film beginnt damit, dass ein Junge sich vor den Fernseher setzt. Von da an handelt es sich um eine wilde Montage verschiedener Ausschnitte aus Filmen, Serien und Werbungen. Das Prinzip des Films ist dabei sehr interessant, weil er die Frage nach tatsächlicher Machtlosigkeit recht eindeutig formuliert. Zunächst sind Bilder aus ebnen jenen Telenovelas zu sehen, etwa Hochzeits- und Schwangerschaftsszenerien, denen in ihrer Heteronormativität eine Selbstsicherheit innewohnt, die Pedraza jedoch in seiner Montage sofort ins Wanken bringt. Er konfrontiert diese Szenen mit gegenteiligen und homoerotischen Bildern, die sich vor allem mit Transsexualität auseinandersetzen. Unterstützt wird dies von der Instabilität des Mediums der Videokassette, die immer wieder Störungen und Unschärfen produziert. Pedraza stellt damit infrage, ob die Körperbilder dieser Sendungen nicht eigentlich bloß die eigene Machtlosigkeit und Fragilität aufzeigen und der selbstbewussten Instabilität der Gegenbilder nicht eine viel größere Kraft innewohnt, oder, wie der Film es an mehreren Stellen ganz konkret ausdrückt: „I was not born in the wrong body. I had a wrong idea of my body.“

Den ganz großen Versuch, die Energie (und damit Macht?) der Welt auf einmal zu versammeln, unternimmt auch der Physiker Nicola Tesla im Jahr 1989, als er probiert, in seinem „Weltsystem“ alle Energie zu jedem Zeitpunkt auf der ganzen Erde verfügbar zu machen. Diesem Vorgang widmet sich Matthew Rankin in „Tesla World Light“ auf assoziative Art und Weise. Der stetig flirrende Hintergrund bietet den Einstieg in diese Mischung aus Stop-Motion, Lichtgestaltung und einer Blitze schießenden, weißen Taube. Der Physiker dient hier als Beispiel eines Menschen, der die Unfassbarkeiten des Universums zwar auf eine bestimmte Art versteht, ihnen aber dennoch immer machtlos gegenübersteht. Macht ist hier keine konkrete Praktik, sondern eine abstrakte und unendliche Energie, die Tesla irgendwann nicht einmal mehr sehen kann, so geblendet wird er von den Blitzen. Hier wird auf abstrakte Art deutlich, dass Macht als Praktik immer eine Form annimmt, die es zu hinterfragen gilt, um ihr nicht geblendet und machtlos zu begegnen.

So formuliert dieses Kurzfilmprogramm eine Art Programmatik für das restliche Festival, weil es ihm Fragen und Thesen liefert, die sich in ihrer Abstraktheit vielleicht auch nur in dieser Form darstellen lassen. In gewisser Weise steckt also auch in der Programmierung eines Festivals ein Machtverhältnis. Und zwar nicht nur zwischen Menschen, sondern letzten Endes auch zwischen Filmen.