Der Schrei

Das Museum als Ort des Schreckens: Gesichtslose Schüler trotten im Gleichschritt ihrer desinteressierten Lehrerin hinterher. Sie ziehen an schauerlichen Skizzen, Gemälden und Formen vorbei – bis sie schließlich eins mit der sie umgebenden Kunst werden. Transformationsprozesse lassen verschiedene Bildwelten aufblitzen, die allerhand Assoziationen wachrufen. Münder. Ärsche. Spermien. Soldaten. Der Schrei. Gewalt. Blut. Zerstörte Körper. Sex. Und das alles im Buntstiftlook. Kunst wird zur Waffe. Kunst wird zum Problem. Alles ist Kunst. Nichts ist Kunst. Das Museum als Ort der Geschichte. Sind Menschen wirklich so grausam? Grand Guignol und Splatterfilm. Schnelldurchlauf und Hybris. Man will anders sein als die anderen Kinder und lacht über den eigenen Misserfolg.

Irgendwann kommt es zum Rollentausch: Die Lehrerin raucht auf dem Klo und wird von den Schülern mit unangenehmer Härte bestraft – Schussgeräusche lassen Böses vermuten. Die Musik rettet in den Abspann und verspricht Hoffnung. Was für ein Trip.

Jonas Hoppe

 

Wir sind Kunst

Wir starren sie an. Aus unseren unterschiedlichen Augen, mit unseren unterschiedlichen Gesichtern. Wir sind Gelb und Grün und Rot. Wir sind gerade, kurvig, abstrakt, realistisch, bescheiden, extravagant. Wir sind einzigartig. Wir sind wunderschön. Wir sind Kunst. Sie aber sind alle gleich. Die gleichen gelangweilten Augen, Nasen, Haarschnitte. Ihre eintönigen Schritte hallen im Einklang. Schritte, Warten, Weitergehen. Sie sind so jung. Sie hören der Großen zu und verstehen uns nicht. Sie starren zurück und da ist Leere in ihren Gesichtern. Die Große versteht uns auch nicht. Ihr Geplapper ist nicht mehr als sinnloses Gebrabbel. Sie strengt sich nicht an. Sie sieht noch nicht einmal wirklich her, will genauso wenig hier sein wie die Kleinen. Sie arbeitet nur etwas ab. Sie versteht uns nicht.
Doch da! Die Große geht. Und plötzlich sind sie ganz nah, näher als alle vor ihnen. Sie sind bei uns, neben uns, sie reden und lachen, sie verstehen. Besser als alle vor ihnen. Wir sind Kunst – und sie sind Künstler.

Sarah Eick

 

Zerstörte Bilder

Grenzen. Selbstwahrnehmung. Körperlichkeit in einem restriktiven Raum. Heimliche Freiheit. Das Museum als Ort der Einschränkung und der Selbsterkenntnis, der Selbst- und der Fremdkontrolle. Zunächst werden Grenzen gezogen, wird Körperlichkeit unterdrückt: Die Schüler müssen leise sein und zuhören – aber niemand versteht etwas. Erst wenn Grenzen überschritten werden, kann eine Interaktion zwischen Betrachter und Kunst stattfinden. Produktive Zerstörung. Ob durch heimliches Rauchen der Lehrerin auf der Toilette (Selbstzerstörung), oder durch die Zerstörung der Gemälde durch die Kinder. Erst dann sehen sie die Kunst, erst durch Berührung entsteht Nähe, Verständnis. Sprache ist in dieser Bilderwelt sinnlos. Die Kinder schreiben ihre Vergangenheit neu, wenn sie unbeobachtet sind, schütteln die ihnen aufgestülpte Gleichförmigkeit und jede Ehrfurcht ab und schaffen neue Bilder, indem sie spielerisch mit der Geschichte um sich herum agieren und eins mit ihr werden. Kunst als Freiheit und das Museum als Ort, der diese Kunst einsperrt – und das, was es in Menschen auslöst, durch sein Dispositiv verhindert. Die Freiheit liegt im Unbeobachtetsein.

Lea Melcher

 

Ruhe bitte!

Kunst –Begriff oder Wirklichkeit – Parodie oder Kopie? Nur von Kunstkennern zu benennende Werke und dennoch allseits bekannt. Karikaturistisch und dennoch wahrheitsgetreu und in kühlem Blau. Es ist nicht so farblos und trüb wie Grau, strahlt immer noch eine gewisse Wärme aus und dennoch wirkt es starr. Die Kunstwerke haben mehr Farbe. Sie sind wohl ihren Originalen nachempfunden. Die Schüler, klein, dick und absolut gleich. Sie reagieren gleich, sehen gleich aus und klingen gleich, beinahe wie ein Echo. Sie fühlen sich rein, in die Kunst, versuchen sie zu erleben- scheitern, weil sie dazu aufgerufen werden. Doch dann – Freiheit! Die Kontrolle ist weg, wenn auch nur für ein paar Minuten: endlich erleben, Kunst erleben und verändern. Zerstören. Modifizieren. Erweitern. Verschönern. Verschmieren. Leben. Sie ist zurück! Ruhe. Jeder an seinen Platz. Warten… PSSSSST! Es ist nie etwas passiert… PSSSST! Wenn es niemand beweisen kann… PSSST! Veränderung ereignet sich allmählich… langsam… anonym…

Miriam Richter

MUSEUM
(MUTEUM)
Äggie Pak-Yee Lee
Estland 2017
4 Min

MUTEUM läuft als Teil der “Anarcho Shorts” beim 19. goEast Filmfestival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden.
Termin: Sonntag, 14.04.2019, 16:30 Uhr, Festivalzentrum