Georg macht einen Kopfstand für Marija, und das betrunken in einer Bar. Cem möchte sie in einen Liebesurlaub entführen. Aber Marija liegt alles andere als die Welt zu Füßen. Leicht könnte man sie für ein Opfer halten. Sie hat ihren Job als Reinigungskraft in einem Hotel verloren, die Miete kann sie nicht mehr zahlen, und ein gesunder Teint kann sie auch nicht gerade vorweisen. Marija hat die Ukraine nicht verlassen, um in Deutschland ausgenutzt zu werden. Auf die Frage ihrer besten Freundin, ob es mit Cem, ihrem Vermieter, etwas Ernstes sei, antwortet Marija lakonisch: „Ich spare mir meine Miete.“

Dieser Deal ist jedoch nicht der ungefährlichste, und auch der zweite Mann in Marijas Leben, der Bauunternehmer Georg, ist kein unbelasteter Kerl. Als Übersetzerin heuert er Marija an, um seine Geschäfte voranzutreiben. Die beiden werden ein Team und verlieben sich ineinander. Liebevoll schneidet Marija ihm die Haare in seiner Wohnung, während er ein Glas Rotwein trinkt. Doch das erinnert Marija an ihren eigentlichen Traum: Nicht etwa die Assistentin eines dubiosen Bauunternehmers zu sein, sondern einen eigenen Friseursalon zu besitzen.
Marija will keine Geschenke, und der Job bei Georg ist nur ein Mittel zum Zweck: Sie spart ihr Geld für den Salon, und es gibt auch schon einen konkreten Laden, den sie mieten möchte. Während alles für sie gerade gut läuft, landet Georg im Gefängnis. Eindrucksvoll zeigt sich hier, wie Abhängigkeiten sich verschieben können: Auf einmal ist Marija sein verlängerter Arm zur Außenwelt. Es geht um viel Geld, und Geld ist etwas, das Marija gerade braucht. Opfert sie den Salon oder Georg? Es liegt in ihrer Hand, und Georg erinnert sich vermutlich in seiner Zelle schmerzlich daran, wie er konstatierte: „Marija, bei dir kommt keiner ungestraft davon.“

Eine wirkliche Strafe hat Georg nicht verdient, er war stets fair zu Marija, jedoch überlappen sich Stärke und Härte oft bei Menschen, die es nicht einfach hatten in ihrem Leben. Und Marija ist eine Kämpferin, sie hat gelernt, in erster Linie an sich zu denken. Es gibt nur einen Moment im ganzen Film, in dem Marija ihre Entscheidungen in Frage zu stellen scheint, aber da ist es auch schon zu spät, noch etwas zu ändern.

Sehr differenziert und in facettenreichen Untertönen stellt Schauspielerin Margarita Breitkreiz die Komplexität von Marijas Charakter dar. Dem Film gelingt es, sie dabei wertfrei zu beobachten, auch wenn es schwer ist, keine Sympathie für Marija und ihre unorthodoxen Methoden zu entwickeln.

Interessant ist auch, wie der Film Deutschland zeigt: Ein Land der Träume und Chancen. Wer sich hier durchzubeißen weiß, kann etwas erreichen. Der perfekte Ort für Marija; Obwohl sie sich in einer prekären Situation befindet, kommt für sie niemals in Frage, staatliche Hilfe anzunehmen, denn auch die gäbe es ja in Deutschland. Der Film spricht dies jedoch nicht an, es würde nicht zu Marijas Charakter passen. Selbst Stehlen ist für sie eine Tätigkeit, die ihr das Diebesgut verdient erscheinen lässt. Über Recht und Unrecht zu urteilen maßt sich der Film zum Glück nicht an. Er zeigt lediglich: Für Betrug kann man auch im Gefängnis landen, wie es Georg passiert. Marija weiß darum, geht jedoch ohne Kompromisse Risiken ein und marschiert selbstsicher in unangenehme Situationen. Wie sich diese Überlebensstrategie, die sie wahrscheinlich aus ihrer Heimat mitgebracht hat, auf ihren Charakter und ihre Beziehungen auswirkt, wird eindrücklich an Georg dargestellt. Für ihn empfindet sie wirklich Zuneigung, dennoch geht sie ihren alten Weg und lässt sich durch Gefühle nicht vom Kurs abbringen.

MARIJA ist, wie der Titel bereits andeutet, ein fiktives Porträt. Ohne auf Marijas Vergangenheit einzugehen, gibt der Film seiner Protagonistin dennoch ein starkes Profil und eine Ahnung davon, welchen Widrigkeiten sie sich wahrscheinlich bereits in ihrer Heimat, der Ukraine, ausgesetzt sah. Konsequent darin, nüchtern auf die Protagonistin und die Geschehnisse zu blicken, gibt der Film einen Eindruck davon, wie jemand unter schwierigen Verhältnissen sein Leben selbstbestimmt gestaltet. Dabei können oder müssen Regeln und Gesetze auch mal umgangen werden. Manche müssen dafür bezahlen, andere nicht – auch das ist eine Lebensrealität, die der Film gut abbildet.

von Thekla Stobbe

Gesehen beim LICHTER Filmfest Frankfurt International in der Reihe „Zukunft deutscher Film“