Ein Unternehmer, ein Vater und ein Sohn einer türkischstämmigen Familie und ein alter Mann – vordergründig haben sie nichts miteinander zu tun, doch dann kreuzen sich ihre Wege. Alle beschäftigt ein Problem: die Frage nach ihrer Zugehörigkeit. Zwischen Dönerbuden-Atmosphäre und Stuttgarter Innenstadttreiben erzählt Willkommen bei Habib viel und lässt doch einiges offen.

Inmitten von selbst zusammengewürfelten Sperrmüllmöbeln sitzt Manager Bruno allein auf einer Verkehrsinsel und schaut hoch zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz. Kurz zuvor ist er aufgrund angeblicher von ihm veruntreuter Gelder aus der Firma entlassen worden und kontert daraufhin mit einem Sitzstreik. Nutzt er die Müll-Last anderer für ein wenig heimisches Gefühl, hat Dönerimbissbesitzer Habib währenddessen mit Altlasten zu kämpfen: Er, verheiratet, trifft nach langer Zeit seine Jugendliebe wieder und erinnert sich an längst vergangene Gefühle. Seine Frau lernt derweil in ihrem Internetcafé Ingo kennen, einen aus dem Pflegeheim getürmten Rentner, der sich nach vierzig Jahren endlich mit seiner Tochter aussprechen möchte, jedoch nicht so recht weiß wie. Und dann ist da noch Neco, auch Jan genannt, Habibs Sohn. Zwischen türkischer Ehefrau und Kind, deutscher Geliebter und Schulden bei einem weniger freundlichen Zeitgenossen träumt er von einem Leben in der Türkei, obwohl er das Land seiner Eltern eigentlich gar nicht kennt. In Habibs Imbiss finden die Geschichten der Protagonisten einen gemeinsamen Handlungsort und verschmelzen zu einem gemeinsamen Identitätsfindungsprozess.

Die bereits mit dem Thomas Strittmatter Drehbuchpreis ausgezeichnete Tragikomödie feiert im Zuge des Lichter Filmfestes 2014 ihre Rhein-Main-Premiere. Regisseur Michael Baumann setzt sich mit dem Thema türkischstämmiger  Menschen in Deutschland auseinander und interessiert sich dabei für das „Fremde, dass direkt vor der Haustür“ als selbstverständlich, aber doch unbekannt wahrgenommen wird, wie er der Stuttgarter Zeitung in einem Interview erzählt. Dabei lässt er in schlagfertiger Komik und tragischen Momenten zwei Welten aufeinander treffen: türkische Großfamilienmentalität und deutsche Einzelkämpfernatur.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sieht man den Schauspielern beim Interagieren zu – Klaus Manchen rührt dabei zu Tränen. Zwischen Selbstvorwürfen, dass er sich nie bei seiner Tochter gemeldet hat, und Freude über die Aussprache mit „ihr“, unwissend, dass es Habibs Frau ist, mit der er da telefoniert, taumelt er in seiner Rolle geschickt auf dem schmalen Gefühlsgrad zwischen Zurückhaltung und Übertreibung. Währenddessen kämpfen Vedat Erincin, einigen wohl bekannt aus dem deutschen Erfolgsfilm Almanya – Willkommen in Deutschland, und Burak Yigit als Habib und Sohn Neco mit ihrer Zerrissenheit zwischen Familienglück und Ausbruch zu altbekannten Vergangenheitsgeistern oder neuentflammter Heimatliebe. Auch der Vierte im Haupt-Cast, Thorsten Merten, überzeugt: Er schreit, leidet, tobt, verzweifelt und das mit herausragender Intensität.

Bisweilen verliert sich Regisseur Michael Baumann dabei allerdings in zu vielen Nebenhandlungen. Durch den trüben Schleier des Louche-Effekts hindurch, den der altersschwache Rentner Ingo im Film nur zu gerne vorführt, wird mit dem sich trennenden Wasser-Anis-Gemisch dabei jedoch eines immer deutlicher: Trotz aufeinanderprallender Geschichten ist jeder schlussendlich für sich allein.

Am Ende scheinen alle Probleme wie weggeblasen und doch nicht gelöst: Die türkische Familie rauft sich zusammen, obwohl es in beiden Ehen kriselt; der alte Mann stirbt mit dem Gedanken, dass es seiner Tochter gut geht und weiß eigentlich doch nichts über ihre Situation; und der Unternehmer darf zurück in seine Firma, hat jedoch mit der Vertrauensfrage zu hadern. In der letzten Szene setzen sich Habib und Bruno rechts und links neben den gerade verstorbenen Ingo. Abgesehen von der leicht anmutenden Absurdität dieses Bildes verkörpert der Film hier Türkisch und Deutsch Seite an Seite. Und doch bleiben sie getrennt – ganz so wie Öl und Anis im Experiment.