ZUVIEL ERLEUCHTUNG

Nach BEASTS IN THE REAL WORLD (2013) und DAY 40 (2014) hat der preisgekrönte Kurzfilmregisseur Sol Friedmann mit BACON & GOD‘S WRATH ein weiteres Mal seinen religionskritischen Standpunkt klar gemacht und dafür die Geschichte der 90-jährigen Jüdin Razie erzählt. Diese hat sich zeitgleich mit ihren ersten Streifzügen im Internet ihren Glauben erschüttern lassen und ist jetzt bereit, zum ersten Mal in ihrem Leben Frühstücksspeck zu essen.

Im dokumentarischen Stil taucht der Zuschauende in die Gedankenwelt der betagten Frau ein, in ihre Erinnerungen an einen streng religiösen Rabbi; man erfährt von ihrer erschütterte Beziehung zu ihrem Glauben und sieht ihre Erleichterung darüber beim Essen des Specks nicht von Gottes Hand niedergestreckt worden zu sein. „Faith ist belief without evidence“, sagt sie und vergleicht den Glauben an Gott und religiöse Mantras mit der festen Überzeugung von der Existenz des Weihnachtsmanns oder der Zahnfee. Begleitet wird diese Geschichte der Rationalität von hell ausgeleuchteten Interview- und Straßenszenen, die die „Erleuchtung“ Razies stilistisch unterstreichen, sowie einiger in die dargestellte Umgebung eingebettete Animationen, die aber leider in ihrer Isoliertheit leicht billig und deplatziert wirken. Vor allem der mit Razie sprechende Schweinekopf, der den Interviewenden (und wahrscheinlich zugleich Sol Friedman) darstellt, maßt wie eine reine Provokation an mit der Friedman die verbale Zurückhaltung Razies auszugleichen versucht.

BACON & GOD’S WRATH ist die 8-minütige Erzählung einer Epiphanie, die versucht die Bedeutung dieses Wortes so weit wie möglich von ihrem religiösen Ursprung wegzubewegen. Letztendlich beweist Friedman mit dem Film jedoch trotz offensichtlich beabsichtigtem Affront einen sensibleren und ehrlicheren Umgang mit Religiösität als man es von ihm gewohnt ist.

Sophie Brakemeier

FLUCH UND SEGEN

90 Jahre musste Razie alt werden. 90 Jahre, in denen die streng gläubig erzogene Jüdin keinen Bissen Schweinefleisch verzehrte. Im 8-minütigen Dokumentarfilm BACON & GOD’S WRATH beendet sie diesen lebenslangen Verzicht vor der Kamera von Regisseur und Animationskünstler Sol Friedman. Einige Streifen Speck sollen Gottes Rachsucht auf die Probe stellen.

Friedman fügt der autobiografischen Erzählung der Seniorin seine für ihn typischen Tricktechniken bei. Diese sind so variantenreich,wie das Leben Razies selbst. So ist die Episode aus der jüdischen Dorfgemeinschaft ihrer Kindheit mit schwarz-weiß animierten Zeichnungen bebildert. Später – wenn Razies Erzählung in der Nähe der Gegenwart angelangt ist – werden die Animationen bunter, und einige bekannte „Memes“ aus dem Internet bewegen sich neben den Realfilmaufnahmen der alten Dame.

Dieser Entschluss seitens des Filmemachers erscheint naheliegend, stellt für Razie doch das Vertrautwerden mit dem Internet eine bedeutende Zäsur in ihrem Leben dar: Suchmaschinen und weiterführende Links haben ihren Horizont erweitert und ließen dabei den Blick auf die eigene Tradition kritischer werden.

Dass die nächstliegende Entscheidung aber nicht immer die beste ist, beweist leider das letzte Drittel des Kurzfilms. Während die Jüdin sich auf das Kosten der verbotenen Frucht vorbereitet – und dabei ihr eigenes Fallbeispiel nutzt, um scharfsinnig über die Gefahren blinder Gottesfurcht nachzudenken – schafft der Film diesen Bogenschlag auf eine gesellschaftliche Ebene nicht. Denn noch immer bevölkern computergenerierte Weihnachtsmänner die Bildfläche, und ein animierter Schweinekopf wird zu Razies Gesprächspartner.

Hier verschenkt Friedman einen Großteil des Potentials von BACON & GOD’S WRATH. Es wirkt beinahe, als sei der kanadische Regisseur selbst überrumpelt von der narrativen Qualität seiner Protagonistin und stellt ihr tragischerweise Animationsfiguren an die Seite, derer es gar nicht bedurft hätte. Die Zuschauer*innen können ihren Fokus nicht in dem Maß auf Razies Worte richten, wie diese es eigentlich verdient hätten.

Razie findet schließlich Geschmack an den Speckstreifen und isst gleich mehrere von ihnen ohne eine weitere Beilage. Ein Purismus, von dem sich der Film eine Scheibe hätte abschneiden können.

Moritz Lentzsch

Zu sehen als Teil der der INTERNATIONAL SHORTS I beim 9. LICHTER Filmfest Frankfurt International