Wo liegt denn überhaupt Afrin? Im Nordwesten Syriens nahe der türkischen Grenze. Mehrheitlich leben hier Kurden, die sich gegen den sogenannten Islamischen Staat behaupten. So viel Zündstoff für eine bewegende Doku der 21 Jahre jungen Regisseurin Arina Adju, so viele politisch brisante Themen im Kontext des goEast-Projekts „Young Filmmakers for Peace“ – und trotzdem sitze ich vor der Leinwand und nichts passiert mit mir.

Wieso? Bin ich abgestumpft von den „hochdramatischen“ Bildern aus Tagesschau und Brennpunkt? Liegt Afrin zu weit weg von mir, als dass ich mich persönlich betroffen fühlte? Ich weiß tatsächlich keine Antwort. Aber Filme, die nichts mit mir machen, mag ich eigentlich nicht.

Adju lebt in Moskau und besucht ihre Familie in Syrien. Sie filmt in einer langen Einstellung ihren Vater beim Umziehen, der das rechte Bein verloren hat. Sie filmt sich selbst mit der Handykamera und zeigt sich dabei in Youtube-Optik hin- und hergerissen: Soll sie diesen Besuch wirklich dokumentieren? Ist sie nun Regisseurin, Schauspielerin oder Beteiligte? Russin oder Syrerin?

Diese zweifelnde Selbstreflexion ist an der Grenze zu einer zweifelhaften Selbstdarstellung. Aber ich bin Adju dankbar für die staubtrockenen Bilder des Alltaglebens im Kriegsgebiet, die kein emotionsloser Nachrichtensprecher in einen ach so wichtigen politischen Kontext presst. Für den 35-minütigen Einblick in eine Welt, in der man nachts von Schüssen geweckt wird, aber daraufhin bloß die Tür schließt und weiterschläft.
Trotzdem sitze ich beim Abspann im Kinosessel und spüre nichts in mir. Ich will nicht anscheinend wahllos aneinander gereihte Filmszenen ohne dezidierte Aussage sehen – meinetwegen im Panel für Experimentalfilme, obwohl ich ALL ROADS LEAD TO AFRIN nicht experimental nennen würde – aber nicht im Hauptwettbewerb der Dokumentarfilme. Dort möchte ich ein politisches Statement sehen, so wie man in meiner Filmkritik sehen möchte, wie ich mich zum besagten Film verhalte.

Und eine Szene hat dann doch etwas mit mir gemacht: Der Bildschirm ist völlig dunkel, allein eine glimmende Zigarette ist zu sehen. Hier hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass eine Figur, nämlich der Vater, offen über seine Gefühle sprechen kann, im Schutz der Dunkelheit, ohne Angst und Scham. Ansonsten wirkte die Formsprache des Filmes beliebig, ich konnte kein Konzept dahinter erkennen.

Aber vielleicht passen deshalb auch einfach Form und Inhalt gut zusammen und meine Einstellung zum Film ist nur eine unter vielen: Der Film sucht nach einer Struktur, die Regisseurin nach ihrer Identität. Und der Zuschauer nach Affekten. Also ich.

von Thomas Robak

VSE DOROGI VEDUT V AFRIN (ALLE WEGE FÜHREN NACH AFRIN) lief beim 17. 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films als Teil des Dokumentarfilm-Wettbewerbs.