Für eine gute Geschichte ist ein Held vonnöten, der ein Ziel verfolgt. So die goldene Regel jeder Drehbuchklasse. Ein Protagonist, der ein Ziel im Blick hat, treibt eine Erzählung voran, macht sie lesenswert und spannend. Ausnahmen bestätigen so ein Gesetz schon mal, da wäre zum Beispiel Döblins „BERLIN ALEXANDERPLATZ„, dass in den Achtzigern von Rainer Werner Fassbinder fürs WDR verfilmt wurde: Franz Biberkopf hatte nach seiner Haftentlassung kein handfestes Ziel, ihm ging es nur ums Überleben in der entfremdeten Grossstadt. Das klappte bekanntlich gut und Franz Biberkopf verhalf Döblin zum Weltruhm, weil Überleben und sich Zurechtfinden vielleicht auch sowas wie Ziele sein können, vielleicht aber auch weil das Nichtwollen und sich Verweigern im fortschrittfeindlichen Zeitalter des Expressionismus auch noch literarische Stoffe waren, die innovativ und trickreich den Mark eroberten. Das klappte aber auch genau einmal ganz hervorragend und das ist schon die erste Antwort darauf, warum es für Matt Porterfields neuen Kinofilm „SOLLERS POINT“ nicht gleichermaßen gut laufen wird: Alles schon irgendwie da gewesen. Da haben wir Keith (McCaul Lombardi), einen Mittzwanziger mit Gangvergangenheit und – aufgrund dieser nun auch – mit elektrischer Fußfessel und frischer Knastgeschichte in der Gegenwart angekommen.

Keith wird nach seiner Haftentlassung zurück zu seinem Vater, irgendwo ins südstaatliche Niemandsland Amerikas, hinausgespült. Hier soll er einen Neuanfang wagen, was für den Regisseur Matt Potterfield scheinbar bedeutet, dass Keith den ganzen Tag Langweile haben muss, zumindest wirkt es aus Zuschauersicht so. Keith treibt sich in der Ortschaft rum, besucht wie Dickens „Geist der Weihnacht“ Freunde aus der Vergangenheit, die mehr oder minder nichts mehr von ihm wissen wollen. Sein Vater hat an ihm kapituliert, seine Großmutter hat wenigstens eine Mahlzeit für ihn übrig und den Rat, es doch nochmal mit der Schule zu versuchen. Keith will nicht. Er sucht stattdessen nach einer Arbeit, findet aber keine. Er sucht nach seiner vergangenen Liebschaft, aber sie will von ihm nichts wissen, genau wie die anderen Frauen, die kurzfristig an Keith Gefallen finden, aber mit seinen Aggressionen nicht umgehen können.

Portferfield muss man zugute halten, dass er auf die Class/Race/Gender-Thematik Rücksicht nimmt. Wie selbstverständlich leben und arbeiten in Keiths Umgebung schwarze und weiße Amerikaner zusammen. Aber für etwas, was ohnehin selbstverständlich sein sollte, gibt es keinen Applaus. Vor allem wenn jene so klischeebeladen, in Gangkonstellation und bewaffnet mit Baseballschläger, sich ständig in „Motherfucker“-Schreien übertönen.

Gemeinerweise könnte man unterstellen, dass die Figur Keith ein Versuch Porterfields ist, hier den klischeehaften Donald Trump-Wähler aus den südstaatlichen Vororten Amerikas zu zeigen, wie sie von den Medien in jüngst vergangener Zeit inszeniert wurden: Abgehängt und desillusioniert, passiv wartend auf die Rettung, die von Aussen kommen soll.

Aus dem strebsamen Vorhaben Porterfields einen US-amerikanischen, modernen Ableger von BERLIN ALEXANDERPLATZ zu kreieren, ist eine mühsame „Warten auf Godot“-Nachbildung geworden: Es passiert, genau genommen, nichts. Ein zähes Warten auf das Heiland, und sei es in Form von Donald Trump, haben wir in letzter Zeit in den Medien schon zu oft gesehen, und wenn wir das schon im Kino sehen müssen, dann wenigstens in einer kreativen, inspirierenden Abhandlung, aber nicht so.

Gesehen auf der VIENNALE 2017 in Wien.