Anfangs erweist sich Lotte, die Protagonistin des gleichnamigen Films ,als charmante Zeitgenossin, etwa wenn sie, stets mit einer Bierflasche in der Hand, durch die Straßen zieht, oder sich zuhause an den Küchenschrank ihres Ex-Freundes klammert, um sich dem Rauswurf aus seiner Wohnung zu entziehen. Doch spätestens wenn sie in der Telefonzelle steht und wegen drohender Obdachlosigkeit die Freundesliste abtelefoniert, wird klar – Lotte hat ein Problem, Lotte ist einsam: hier ruft sie Bekannte an, die sie mal vor Jahren gekannt hat, da eine flüchtige Liebschaft, die vielleicht ein Zimmer frei haben könnte. Ein Großteil der Menschen legt auf.

Lotte verzweifelt an so viel Unabhängigkeit aber erst mal gar nicht. „Geht doch“, resümiert sie, als ihr jemand anbietet, in einem Fahrradladen zu wohnen. Also alles in Ordnung? Wohl kaum, denn die Geister aus der Vergangenheit, die, wie so oft, niemand rief, kommen nun zurück und wollen es sich im Leben der Protagonistin bequem machen. Greta, die inzwischen 15-jährige Tochter, zu der Lotte nie Kontakt hatte, wird in das Krankenhaus eingewiesen, in dem sie als Krankenschwester arbeitet. Zu ihrem Pech hat Greta natürlich von ihrem Vater alles erfahren und sucht nun die Bindung zu der nicht ganz so zuverlässigen Mutter. Und Lotte? Soll nun Mutter sein? Niemals. Doch Greta lässt nicht locker.

Mit LOTTE feierte Jungregisseur Julius Schultheiß schon 2015 auf der Berlinale seine Weltpremiere, auf dem LICHTER Filmfest Frankfurt International konnte er seinen Film als Hessenpremiere präsentiere. LOTTE ist ein ehrgeiziges Projekt, das letztlich mit Crowdfunding realisiert werden musste.

Karin Hanczewski, die sich als Lotte ordinär, rülpsend und betrunken durch den Film bewegt, spielt überzeugend und findet die richtige Empathie, um die Figur in ihrer Ambivalenz zu verkörpern. Niemals wirkt Lotte emotional  kalt oder gar bösartig. Das ist wichtig für einen Film, der einen psychologischen Konflikt zwar thematisiert, jedoch gleichsam und ambitioniert die dazugehörigen psychologische Erklärungen und Zusammenhänge übergeht. Warum ist Lotte so unnahbar? Warum schafft es Greta, so erhaben über das Verhalten ihrer Mutter hinwegzusehen? Die Tochter, die so verständnisvoll und zugleich erwachsen agiert, wirft Fragen auf, die aus der filmischen Erzählung heraus nicht beantwortet werden. Das wirkt an einigen Stellen im Film störend und unglaubwürdig, kann jedoch mit dem Hinweis, dass es sich hierbei um eine nicht ganz so ernstgemeinte Tragikkomödie handelt, erklärt werden. Etwa dann, wenn Greta Lotte zum ersten Mal auf einer Demo mitten in der Stadt begegnet und sie bis weit in den Wald hinein verfolgt, während Lotte sie keines Blickes würdigt, mit der Hoffnung sie auf diese Weise loszuwerden.

Innovativ ist auch die Idee, die Rolle des lone wolf einer Frau zuteil werden zu lassen. Waren doch bisher fast ausschließlich nur Filmväter diejenigen, die sich mit einem bis dahin verdrängten Kind plötzlich konfrontiert sahen, wie zum Beispiel in ICH REISE ALLEIN oder KOKOWÄÄH.

Alles in allem ist Schultheiß und seiner Crew ein erstaunlich schöner Film gelungen, der es schafft, die bedrückenden Seiten des menschlichen Miteinanders auf liebenswerte Weise in den Blick zu nehmen.

Elin Grønhaug

Zu sehen beim LICHTER Filmfest Frankfurt International als Teil der regionalen Langfilme außerhalb des Wettbewerbs.