Weit aufgerissene Augen. Laute Schreie. Leiser Atem. Ein Schuss. Ein Pfeifen. Stille. Seine Mutter ist tot. Jetzt ist Kaspar auf sich allein gestellt. Er flüchtet, wird bald gejagt. Er ist eine „Kreatur“, zerzauste Haare, dreckige Klamotten. Als der deutsche Armeearzt Ulrich ihn im Wald findet, hängt er an einer Metallkette. Vermutlich eine Falle, in die er geraten ist. Ulrich befreit den Jungen; der flieht. Kasper hat kein Vertrauen mehr in die Menschen, ist als Kriegswaise irgendwie verloren gegangen.

Krieg. Für sie eigentlich schon vorüber. Exil, ihre neue Heimat, ein Sanatorium. Verletzt. Verwirrt. Verängstigt. Verlassen. Sie sind ein und die gleiche leblose Hülle ihres noch atmenden Körpers. Alle über einen Kamm geschert, mit kurzgeschnittenen Haaren und in lange Gewänder gehüllt. Ulrich kommt, um ihnen zu helfen. Ihnen und dem Jungen. Doch wissenschaftliche Methoden scheinen nicht die Lösung zu sein. Wenn es denn überhaupt eine gibt.

Um den Krieg scheint es nicht zu gehen. Nicht direkt jedenfalls. Zumindest nicht um den ersten Weltkrieg, der da draußen tobt. Im Spielfilmdebut EXILED von Regisseur Dᾱvis Sῑmanis blickt man auf eine bestehende Angst vor dem Fremden abseits der Kriegshandlung. Die Andersartigkeit der im Exil Lebenden wirkt absonderlich, beängstigend, irgendwie bizarr. In den Augen der anderen Dorfbewohner nicht normal. Eben anders. Es ist wohl die Angst und das Unverständnis, die eine eigentlich schon aufgeklärte Welt wieder zurück in die Barbarei fallen lässt. Von Kämpfern werden die Patienten zu Hilflosen. Zu Gejagten.

Ruhig sind die Bilder. Laut die Erschütterung. Ulrichs schwarzbraune Augen blicken in eine dunkle Spirale. Angst. Aufarbeitung. Ablehnung. Hilfestellung. Hilflosigkeit. Die Kamera fängt das Licht und zeichnet den Schatten. Fast schon poetisch. In einer zerstörten Welt, mit kaputten Gestalten sind sie graue Kopien ihrer selbst, die sich im lichten, noch graueren Nebel aufzulösen scheinen. Bis sie irgendwann ganz verschwinden.

Ein Spiel mit Gegensätzen: klassische Musik zu markerschütternden Schreien. Weite Kameraeinstellungen gegenüber fokussierten Gesichts- und Detaillaufnahmen. Wachsendes Mitgefühl und Miteinander im Exil, gegen die Feindseligkeit von außen. Das gute Gefühl, dass da jemand kommt, um zu helfen. Die harte Realität, die es ihm schwer macht. Hoffnung gegen Bestürzung. Ein Spielfilm, der bewegt. Ein Spielfilm, der fiktionalisiert und dokumentiert. Der einen allein zurücklässt. Über den man nachdenkt, nachdenken muss, der nachhallt.

von Friederike Mertes

PELNU SANATORIJA (EXILED/IM EXIL) läuft im Wettbewerb beim 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films an folgenden Terminen:

Sonntag, 30.04.2017, 20:30 Uhr in der Caligari FilmBühne, Wiesbaden
Montag, 01.05.2017, 18:00 Uhr im Apollo Kinocenter, Wiesbaden
Montag, 01.05.2017, 20:30 Uhr im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt