Im Rahmen der Nippon Connection Frankfurt am Main und im Programm der NIPPON DOCS AWARDs 2019, lief der Film „From all corners“ von Regisseur Ryusuke Okajima.

Nicht nur die sympathische Produzentin Yuko Shiomaki war anwesend, auch der Hauptdarsteller Fuyuki Shimazu kam angereist, um Werbung für seine Leidenschaft zu machen: dem nachhaltigen Weiterverwenden von gebrauchten Kartons in Form gestylter Geldbörsen. Der Karton-Designer ist ein zeitgemäßer und warmherziger Freak, der für seine Leidenschaft brennt und mit sehr viel Charme und Humor die Beziehung zwischen Mensch und Objekt (natürlich Karton!) mit Bedeutung aufladen möchte.

Die beiden mögen sich, das wird schon bei der Begrüßung in der Naxoshalle deutlich, Yuko Shiomaki hat auch in einigen Szenen die Kamera geführt und man hört es, immer wenn sie im Film aus dem Off ein Kommentar in die Szene hineinwirft: da treffen sich zwei Menschen, die über den Karton „Potato“, auf welchem in gelbgrün drei Kartoffelmänner abgebildet sind, herzhaft lachen können.

Sie beschließen, sich auf Spurensuche nach der Geschichte von diesem speziellen Karton zu begeben: über die Produktionsfirma, der „Heimat“, bis zu dem „Vater“, dem damaligen Designer, der diesen Karton entworfen hat. Der Karton strahlt so viel Wärme aus: der Designer muss ein ganz besonders warmherziger Mensch sein, erklärt Fuyuki Shimazu überzeugt.

Während seiner Reise wird immer wieder ein wenig aus seinem Leben erzählt. So erklärt sein ehemaliger Firmenchef, warum sie ihn damals überhaupt eingestellt haben: denn er sprach, direkt von der Uni kommend, schon da die ganze Zeit nur von Kartons und alle waren verwundert über seine Spleens. Aber er war äußerst kreativ! Auf seinem Schreibtisch stapelten sich zwar immer mehr Kartons, aber er war sympathisch, an allem interessiert und konnte sich mit jedem leicht befreunden. Selbst zu einem Kundengespräch nahm er einmal einen Karton mit und maß diesem mehr Wert bei, als dem Gespräch an sich: aber er konnte großartige Zaubertricks und am Ende merkten sich die Kunden seinen Namen mehr, als die Namen von allen anderen. „Ein echter Künstler“. Der ehemalige Chef schmunzelt: „Aber er war bei uns damals nicht der einzige Angestellte, der verrückt war.“

Das Kinopublikum lacht herzhaft bei den lebhaft geschilderten Geschichten. Diese entstehen nicht, wenn man gradlinig einer gewünschten Norm der Masse folgt. Mit seinen inneren Werten, Talenten und Besonderheiten, die Fuyuki Shimazu ausmachen, scheint er auf genau die richtigen Orte und Menschen getroffen zu sein. Er steigt in der Firma schnell auf. Und steigt schließlich aus. Als Designer macht er sich selbstständig und will sich nun voll und ganz seinen Kartons widmen. Detailliert wird gezeigt, wie er seine Geldbörsen fertigt, die er mittlerweile für umgerechnet circa 80 Euro das Stück weltweit verkaufen kann. Andächtig leise wird es plötzlich im Kinosaal. Sorgfältig und liebevoll wird jede Ecke gefalzt, geschnitten und gefaltet. Er vergleicht den Moment der Fertigstellung mit einem „Brot, frisch aus dem Ofen“. Stolz wird die gelbe Kartoffel-Geldbörse in die Kamera gestreckt.

In seiner Selbstständigkeit hat er begonnen immer weiter um die Welt zu reisen und aus jedem Land Kartons zu sammeln. Und jeder davon hat einen eigenständigen Charakter. So viele Gefühle, die in einem Design versteckt sind. Das hat ihn schon während seines Studiums immer fasziniert. Wenn die Kartons neu sind, dann hat er keinerlei Interesse an ihnen. Er hätte sich zum Beispiel nie vorstellen können, selbst einen neuen Karton zu designen. Wozu auch? Der Wert liegt für ihn ja schon auf der Straße und kann gefunden und gesammelt werden. Und zu diesem Wert gehört für ihn essenziell auch die Erinnerungen, die in dem Material verborgen liegen. Die Anekdoten. Die Erinnerungen. Die Menschen.

Mit einem charmanten und liebevollen Messie-Verhalten begutachtet er jeden Karton, der ihm vor die Augen kommt. Keiner wird abgewertet oder als „schlecht“ definiert. Alle haben eine Bedeutung in dem System ihrer Erscheinung. Denn was meint schon „gut“ und „schlecht“ und kann nicht jeder für sich diesen Wert selbst festlegen?

Und am Ende der Reise, nach viel Gelächter, kommen nun viele Tränen: denn Fuyuki Shimazu sitzt schließlich dem Designer, dem Ziel seiner Reise, gegenüber und überreicht die Geldbörse würdevoll an ihn. Seine Frau ist sichtlich sehr bewegt. Der Designer reicht sie an sie weiter. Viele Fragen, aber keine Antworten und man ahnt schon, bevor es noch ausgesprochen wird, dass etwas nicht stimmt. Später klärt Fuyuki Shimazu auf: der Mann hat mittlerweile Alzheimer. Die letzten fünf Jahre waren für seine Frau sehr hart. Ein berührender Moment. Die Wärme des Kartons, das Besondere und Außergewöhnliche, das Menschen zum Lachen oder, wie hier, zum Weinen bringt.

Seine Geldbörsen sind mehr als ein weiter verwertetes, neues Aufbewahrungsmedium: sie sind Kommunikationsmittel. Auch wenn manche Erlebnisse in Vergessenheit geraten, entstehen dafür neue Momente. Er gibt selbst den Menschen das Gefühl etwas Bleibendes, einen Wert hergestellt zu haben. Eine Bedeutung und damit auch einen Wert in dieser Welt zu haben. Nicht nur die Objekte sind wertvoll.

Auch, wenn der Film in einigen Einstellungen zu einer banalen Werbeshow für Fuyuki Shimazus Workshops verkommt und manche Kameraeinstellungen einen etwas aufmerksameren Blick hätten gebrauchen können. Auch, wenn man den Film im Schnitt noch etwas mehr verdichten hätte können und ein paar offensichtliche Wiederholungen (alle japanische Boxen sind Kawai!!!) überflüssig waren: Fuyuki Shimazu trägt als Hauptfigur auch hier seine Leidenschaft und seine Ambitionen würdevoll und glaubwürdig ehrlich mit sich durch die Welt. Und dadurch bekommt auch der Film einen Wert.

Wenn er alle Länder bereist und von überall Kartons gesammelt hat, dann möchte er ein Museum damit eröffnen, wird er später noch persönlich im Gespräch in der Naxoshalle erzählen. Er hat sich einen blauen Karton unter den Arm geklemmt, den er vor der Halle gefunden hat und kaum loslassen möchte. Das Blau ist doch ganz besonders und einzigartig! Auch hier macht er das, was er am besten kann: sich mit Menschen befreunden und seine Leidenschaft teilen und weitergeben. Bei der Fragerunde sagt eine Dame, dass sie nie wieder mit demselben Blick Kartons ansehen wird. Die Ästhetik des Umweltbewusstseins fängt klein an, aber es wächst stabil, zusammen mit den Menschen, und schärft den Blick für gemeinsame, andere Einstellungen.

„From all corners“

Regisseur: Ryusuke Okajima

Hauptdarsteller: Fuyuki Shimazu

Produzentin: Yuko Shiomaki

Japan 2018, 93 Minuten