Es gibt Dinge, die kann man nicht erklären, besonders nicht auf der Leinwand. Die Intimität eines langjährigen Paares gehört dazu, das sich liebt bis in die kleinste Bewegung hinein und die Ohnmacht, die ein einzelner Mensch empfindet, wenn er sich ungreifbaren Ängsten ausgesetzt ist. Am Erklären sind Regalbretter voll Ratgeberliteratur schon gescheitert, aber darum geht es Sonja Heiss in Hedi Schneider steckt fest, ihrem zweiten Spielfilm und dem Eröffnungsfilm des diesjährigen LICHTER Filmfestivals nicht – zum Glück. „Show, don’t tell!“ – die Regisseurin erklärt nicht, sie zeigt und zollt damit einem der Grundgesetze des Filmes einen angemessenen Tribut. Im Gewinnerfilm des Hessischen Filmpreises 2015 gewährt sie dabei mit Spitzfindigkeit und Humor einen Einblick in eine Beziehung, die unter den plötzlichen Panikattacken und Depressionen eines Partners zu leiden hat.

Die Protagonistin Hedi Schneider trägt einen blonden Pferdeschwanz und Strickpullover mit Obstmuster, darüber ein geblümtes Jacket; zur Arbeit fährt sie mit dem Fahrrad. Als sie einmal mit dem Fahrstuhl stecken bleibt, bestellt sie kurzerhand beim Sicherheitsdienst durch die Sprechanlage einen Burger mit Pommes, um ihn darauf hinzuweisen, dass sie auch nach einiger Wartezeit immer noch festsitzt. Bis hier, bis in diesem Fahrstuhl, ist sie die fröhliche Frauenfigur, die man aus einigen Indie-Filmen schon kennt, und zwar immer noch beschmunzeln, aber vielleicht nicht mehr ganz so originell finden mag. Was aber zwischen ihr und den anderen Figuren steht, ist eine dicke Wand aus Stahlbeton und eine metallene Sprechanlage, die die Stimme der Außenwelt verzerrt, wenn Hedi versucht sich mit ihr zu unterhalten. Daran scheint sich nichts zu ändern, auch als sie den Fahrstuhl verlassen kann und sich an ihrem Bürotisch setzt. Die Enge bleibt; Hedi bekommt keine Luft, sie atmet nur noch Angst. Laura Tonke schafft es mit Bravour die feinen Untertöne zu treffen, die in einer Tragikomödie unabdingbar sind. In einem Moment lächelt sie, als ihr Partner Ulli als Indianerhäuptling im Spiel mit dem gemeinsamen Sohn ein Faultier aus Stoff erschlägt, im nächsten liegt sie auf dem Küchenboden und fleht ihn an, sie nicht sterben zu lassen, nicht hier, nicht so.

Ulli (Hans Löw) hält sie in den Armen und versichert ihr so, dass sie keinen Schlaganfall hat, nicht hier, nicht so sterben wird. Er ist ein Mensch, der sich mit Gesten in der Stille auskennt – er ist Gebärdendolmetscher. Wenn ihm die Welt zu trüb ist, dann schneidet er mit einem Teppichmesser ein Fenster in die Baustellen-Plastikplane vor dem Haus. Ihn zieht es in die Ferne, nach Gambia, wo er seinen „Scheißjob“ gegen etwas tauschen will, das vielleicht der modernen Heldentat am nächsten kommt: für die, die es dringend brauchen eine Schule und einen Brunnen aufzubauen. Gesten, sowohl große, als auch kleine, helfen nicht mehr, wenn seine Partnerin über lange Zeit Psychopharmaka missbraucht, nur noch davon spricht, dass sie nicht mehr kann und auch die Enttäuschung des Sohnes immer schwerer wiegt. Ruhm und Anerkennung bleiben aus, wenn man sich über eine lange Zeit für einen Menschen mit Depressionen zurücknimmt. Er würde gerne Hedis Monster erschlagen, damit die Sache erledigt und die Familie glücklich und satt ist – als Abenteurer ein Übel bannen und sich dem nächsten zuwenden. Helden führen keine Langzeitbeziehungen, Ulli schon. Er kann nur die Geduld beschwören, die vielleicht bessere Zeiten bringt, bevor die Situation die Beziehung zermürbt. Als er darum bitten möchte, den Arbeitsantritt in Gambia noch ein wenig aufzuschieben, behauptet er, Hedi hätte Krebs statt Depressionen. Sein Gegenüber schüttelt nur mitleidig den Kopf.

Hedi Schneider steckt fest ist ein feinfühliger Film mit exzellentem Timing und ein bemerkenswerter Beitrag für die hessische Filmlandschaft. Mit Absicht habe die Regisseurin nicht in Berlin, am Prenzlauer Berg, gedreht. So ein Film ist Hedi Schneider steckt fest nicht, sagt sie im Interview nach der Vorführung im Festivalrahmen. Gerade durch Frankfurt, auf Mainbrücken und am Theater entlang geht Hedi ihren Weg in die Nacht, hebt die Arme im inneren Nebel vor den Hochhäusern und hofft.

(Festivalkritik im Rahmen des LICHTER Filmfest 2015)