Tiefe Falten und müde, traurige Augen. Müsste man das Alter der Frau schätzen, die Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter im Dokumentarfilm A WOMAN CAPTURED über anderthalb Jahre mit der Kamera begleitet hat, würde man sie sicher für über 70 halten. Weit gefehlt, denn Marish ist erst Anfang 50. Ihr gezeichnetes Gesicht steht für das, was sie in den letzten zehn Jahren durchmachen musste – denn Marish lebt als Sklavin einer Familie in Ungarn. Sklaverei in unserer heutigen Gesellschaft? Der Film behandelt ein Thema, dass es eigentlich nicht zu geben scheint, doch leben auf der Welt mehrere Millionen Menschen als Sklaven, sogar in Deutschland sind es schätzungsweise 14.000. Das Schicksal von Marish, die eigentlich einen anderen Namen hat, ist also kein Einzelfall.

Bernadett Tuza-Ritter begleitet Marish in ihrem Alltag, filmt sie beim Kochen, Putzen oder Schlafen. Mit wackeliger Handkamera wird das Publikum mit in das Haus genommen, in dem Marish „lebt“. Dabei immer wieder in Nahaufnahme: Marishs Gesicht, das allein so schon eine ganze Geschichte erzählen könnte. Gerade deshalb ist der Film auch so berührend und es ist umso schlimmer zu sehen, wie Marish von der Hausbesitzerin Eta herumkommandiert und gedemütigt wird. „Mach essen!“, „Wasch Wäsche!“, „Räum auf!“ Obwohl wir Eta nie zu Gesicht bekommen, sondern nur ihre kralligen Fingernägel, die eine Zigarette umklammern, fällt es nicht schwer, eine Vorstellung von der Frau zu bekommen.

Bernadett Tuza-Ritter zeichnet in ihrem Dokumentarfilmein authentisches und gerade deshalb so erschreckendes Bild. Dafür benötigt sie keinen besonderen Soundtrack und kein Voice-Over. Denn die Stille, die in vielen Szenen herrscht, führt uns besonders die Einsamkeit Marishs vor Augen, die in der Filmemacherin ihre einzige Verbündete findet. Nur den Alltag von Marish zu sehen, ohne dabei einen Fünkchen Hoffnung vermittelt zu bekommen, dass sich ihre Situation bald ändert, wäre kaum zu ertragen. Doch zum Glück gibt es sie, die Hoffnung. Ermutigt durch Bernadett Tuza-Ritter, plant Marish ihre Flucht. Doch auch die Angst bleibt: denn ob Marish ihre Verfolger wirklich für immer abschütteln kann, bleibt ungewiss.

Für Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter ist der Film ein Herzensprojekt, wie sie im Q&A nach der Vorstellung ihres Films auf dem goEast-Filmfestival deutlich macht. Was ursprünglich als fünfminütiger Kurzfilm geplant war, wurde zu einem eineinhalbstündigen Dokumentarfilm. Denn Marish in ihrer Situation allein zu lassen, kam für die Filmemacherin nicht in Frage. Um Marish weiterhin filmen zu können, nimmt sie es sogar in Kauf, Eta für die letzten Monate des Drehs zu bezahlen. Als auch ein anonymer Anruf bei der Polizei nichts bringt, steht für Bernadett Tuza-Ritter fest: Sie muss Marish bei ihrer Flucht helfen.

von Britta Reinsch

A WOMAN CAPTURED lief beim 18. GoEast Festival als Teil des offiziellen Wettbewerbs.