Irena verbleibt regungslos, nachdem der Junge das Gift eingenommen hat. Seine Mutter verabschiedet sich unter Tränen. Es sind die letzten Minuten eines Sterbenskranken. Auch wir sind regungslos. Wir werden Zeuge einer unbeschreiblichen Traurigkeit, einer Intimität die ergreifend und verstörend ist. Für Irena ist das Tagesgeschäft. „Sie haben einen Scheißjob“ lautet der bittere Kommentar einer Angehörigen. Irena ist hier, um beim Sterben zu helfen. Sie beschafft das Gift – eine Veterinärmedizin aus Mexiko – und mischt es mit klinischer Genauigkeit mit Alkohol an. Ihre kühle Professionalität wird ebenso bewegungslos beobachtet. Die triste Szenerie bindet. Wenn der Entschluss gefasst wird, dann müssen die Angehörigen stark sein, denn ihr Leben wird weitergehen. Irena wird so zu einer leeren Hülle, einem stillen Wächter – ein Gefühlsvakuum umschließt sie. Es ist umso beeindruckender, wie nah uns Miele an diesen Charakter heranlässt.

Miele, so nennt sich Irena in ihrem zweiten Leben. Honig. Den bitteren Geschmack des Gifts soll sie versüßen, eine ungerechte Situation soll sie wieder zurechtrücken. Unter Assistenz eines geliebten Menschen scheiden die Sterbenskranken zu einer geliebten Melodie aus dem Leben. Auch Irena umgibt sich mit Melodien, schirmt sich mit ihnen immer wieder von ihrem Leben als Todesengel ab. In dem Regiedebüt der Schauspielerin Valeria Golino werden die beiden Sphären von Privatem und Professionellem ständig miteinander verhandelt. Es ist eine schwere Verhandlung, scheinen sie doch so unvereinbar zu sein. Wenn das Geschäftstelefon klingelt, wird Irena zu Miele.

Die Trennung droht endgültig aufzubrechen, als der Ingenieur Grimaldi ihre Dienste für sich beansprucht. Denn seine Krankheit ist unsichtbar. Der Entschluss scheint sicher: Er habe nun genug gesehen, genug erlebt; seine Frau ist schon vor Jahren verstorben, Kinder wollten sie nie. Der Fernseher zeigt eine Welt, in der er nicht mehr leben will. Er ist erschöpft. Irena aber will ihm nicht helfen, denn sie hat sich den Sterbenskranken verschrieben. Sie will Leid ersparen, dem langsamen Verfall Einhalt gebieten. Doch erfüllt auch Garibaldi, dem äußerlich nichts fehlt, das Bedürfnis zu sterben

Seine Figur wirkt dabei wie ein bitterer Beigeschmack zu einem Diskurs über Euthanasie, der keine endgültige Antwort finden kann. Gerade sorgte die Entscheidung in Belgien, Sterbehilfe auch auf Jugendliche und Kinder zu erweitern für Kontroversen. Nicht diskutiert werden jedoch psychische Krankheiten, denn sie werden weitgehend als therapierbar angesehen. Der Regisseurin gelingt vor diesem Hintergrund somit eine kluge und sensible Auseinandersetzung und eine ebenso ungewöhnliche, späte Coming-of-Age Geschichte, in der Irena auf der Suche nach der richtigen Entscheidung auch ein Stück von sich selbst findet. In kleinen, nahezu beiläufigen Szenen offenbart sich alleine am ruhigen, facettenreichen Spiel der 32-jährigen Jasmine Trinca eine komplexe Gefühlswelt. Es sind die Reisen nach Mexiko, die regelmäßigen Fahrradfahrten und Schwimmeinheiten, die uns Irena näher bringen. Golino findet dafür starke
Bilder in denen Irena nicht nur gegen ihre Gefühle sondern auch gegen die Elemente ankämpfen muss

Valeria Golino legt mit Miele ein außergewöhnliches Regiedebüt vor. Der Film kommt ganz ohne Psychologisierung aus, die Motive der einzelnen Akteure bleiben größtenteils im Dunkeln. Es gelingt ihr, die richtigen Fragen zu stellen und den Zuschauer auf eine kleine Erkenntnisreise zu schicken. Golino erzählt dabei eine Geschichte von Abschied und Schmerz, aber vor allem vom Weitermachen. Die starke musikalische Untermalung, zwischen Klassik und modernem Synthi-Pop, paraphrasiert und kontrastiert. Wenn Irena sich auf das Fahrrad schwingt oder in der Bahn sitzt, lassen die atmosphärischen Songs von The Shins oder Thom Yorke die Außenwelt verstummen. Sie schaut dann nach vorne, zielt geradewegs ins Nichts und atmet durch. Nur langsam kehren die Geräusche, die Stimmen zurück.