Wohin nach der Arbeit?
„Alles, was ein bisschen was im Kopf hatte und irgendetwas unternehmen wollte, ist nach Mainz gegangen, oder weiß der Kuckuck wo sonst hin, aber auf jeden Fall nicht nach Wiesbaden. Es sei denn, sie sind in den Bumerang gekommen.“
Der Andrang war teilweise gigantisch. Mehr und mehr Menschen drängten sich am schweren Vorhang des Eingangs vorbei. Raus wollte keiner mehr. Sie waren gekommen, um zu bleiben. Dicker Zigarettenqualm hing in der Luft, und hüllte das Geschehen im Raum ein. Dutzende Menschen saßen zusammen, sprachen ausgelassen miteinander, tranken Bier oder lieferten sich hitzige Diskussionen über politisch aktuelles Geschehen. Erhobene Gläser, lachende Gesichter und Hüften, die sich wild zum Rhythmus der Musik hin und her bewegten. Soviel stand schon mal fest: Das Stimmungsbarometer stand auf Maximum. So muss wohl ein Abend im Bumerang gewesen sein.

Auf diese Weise hat der Bumerang, unter der Wirtin Sylvia Bernhardt, in der Wellritzstraße 18 das Leben der Menschen Wiesbadens so geprägt, wie kein anderes Lokal zuvor. Heute ist es geschlossen, der Zapfhahn still gelegt und die Qualmschwaden haben sich verzogen.

Und auch wenn der Bumerang nicht mehr zurückkehrt, bleiben doch die Erinnerungen an den Ort, an dem Fremde zu Freunden und Freunde zu Familien wurden. Um diese Erinnerungen für die Nachwelt zu bewahren, setzt Regisseur Thomas Lawetzky dem Bumerang und vor allem der Schirmherrin Sylvia Bernhardt mit der Dokumentation SYLVI’S BUMERANG ein würdiges Denkmal.

Doch wer ist eigentlich Sylvi?
„Ich war nicht allein“
In langen Einstellungen vor der Kamera im Sessel sitzend, berichtet Sylvia Bernhardt von ihrer Vergangenheit und hebt dabei die Familie besonders hervor. Als liebevoll und großherzig beschreibt die heute 82 jährige ihr Elternhaus, das von einer engen Verbundenheit geprägt war. Besonders zu ihren Brüdern habe sie eine enge Beziehung gehabt. Und eben diese familiäre Güte und Verbundenheit setzt Sylvia Bernhardt in ihrem Lokal fort.

„Ich wäre eingegangen wie ne Primel“
Eine Anstellung als Bürokraft, beispielsweise auf einem Amt, konnte sie definitiv nicht vorstellen. Daher war es nicht ganz überraschend, dass am 11. Februar 1960 der Startschuss für den Bumerang fiel. Dass sie mit diesem Entschluss die Wiesbadener Lokalszene prägen würde, war ihr zu diesem Zeitpunkt klarerweise nicht bewusst.
Von da an führte sie das Lokal 50 Jahre lang bis zur endgültigen Schließung im Jahr 2010.
Mit psychoanalytischer Sensibilität entwirrt Lawetzky die Vergangenheit des Bumerangs und sucht die Antwort für die Gründung des Lokals in der persönlichen Vergangenheit von Sylvia Bernhardt. Diese konzipiert er zur dramaturgischen Säule seiner Dokumentation und erzeugt so das wahre Bild einer Frau, die durch und durch einen Familienmenschen verkörpert. Die Aufnahmen, darunter auch viel privates Fotomaterial, zeugen dabei von intensiver Nähe und einladender Verbundenheit, aber ohne aufdringlich oder gar voyeuristisch zu erscheinen. Gleichzeitig kommen sie ohne künstlerisch avantgardistisches Chichi aus. Der Fokus liegt schlicht auf dem wirklichen und wahren Leben von Sylvia Bernhardt.

Was bleibt?
„Ich versteh das sehr gut, wenn Leute sagen: Das war mein Wohnzimmer.“
Nach der Schließung des Bumerangs bleiben nur noch die Erinnerungen der einzelnen Gäste an einen Sehnsuchtsort mit wohnzimmerähnlicher Wohlfühlatmosphäre, die als Zeitzeugen immer wieder Raum bekommen, ihre Erinnerungen zu schildern. Diese wirken authentisch und geben gezielt Einblicke in das Phänomen „Bumerang“.
Insgesamt entwickelt SYLVI’S BUMERANG einen kräftigen Sog. Der Film berührt auf eine sanfte Weise, weil er sich im Innern mit uns selbst konfrontiert, indem er die Fragen aufwirft, wer wir sind, warum wir auf diese Art Entscheidungen treffen und vor allem was wir selbst einmal hinterlassen.

von Max Tyrai

Gesehen beim LICHTER Filmfest Frankfurt International im Wettbewerb der regionalen Langfilme.