Von Gefühlen geleitet und trotz Zusammenhalt in manchen Momenten doch so fern: in „Nackte Tiere“ – dem Langfilmdebüt von Regisseurin Melanie Waelde – versucht eine fünfköpfige Teenagerclique ihren Alltag zu meistern. Dabei stößt die Gruppe oft an ihre sozialen Grenzen. Was auf dem Papier wie ein zuhauf gesehener Coming-of-Age-Film klingt, beeindruckt mit einem überragenden technischen Konzept.

Wir begleiten vor allem Katja (Marie Tragousti), eingepfercht im 6:5-Bildformat, das präzise mit den schwarzen Balken an jeder Seite die unvermeidliche Nähe der Figuren zueinander und ihren Tunnelblick effektiv suggeriert. Für ihre Clique fliehen die gemeinsamen Abende so schnell dahin wie die abrupten Szenenwechsel. Eine Sintflut an harten Schnitten prasselt auf den Zuschauer ein und beschleunigt wünschenswert die Handlung. Dennoch gibt es einen kleinen Preis für jene unkonventionell kreierten, authentischen Gegebenheiten. Es ist die aufgebaute Distanz zum Zuschauer, der nur durch ein sehr kleines Fenster in die zerbrechliche und doch herzliche Welt von Katja hineinblicken kann. Man ist nicht mittendrin, sondern „nur“ dabei. Andererseits profitiert „Nackte Tiere“ durch seine wirkungsvolle Rasanz sowie von seiner Direktheit, denn seine Regisseurin schreckt nie vor unangenehmen Konfrontationen zurück. Ein ausgezeichneter Kompromiss.

Ständig stoßen die Jugendlichen wegen ihrer unüberlegten Aktionen aneinander. Schutz und Aggressionsbewältigung sucht Katja deshalb im Jiu-Jitsu-Verein zusammen mit einem weiteren Freund: Sascha (Sammy Scheuritzel). Dort unterrichtet sie mit ihm sogar die Nachwuchsgruppe. Ein ungleichmäßiges Verhältnis sickert zum Zuschauer durch, die ausführenden Hauptfiguren scheinen in ihrer Aufgabe aufgrund ihrer sozialen Brennpunkte abgestumpft zu sein. Denn die Kinder werden wegen fehlender Deckung zwar fair von ihrem achtsamen Partner per gezieltem Faustschlag bestraft, aber zusätzlich auch noch von ihren Trainern mit Liegestützen. Hier offenbart sich die bedeutsame hierarchische Ebene unter den Konfrontationen der Teenager. Nicht die Lyrik, sondern der heftigste Schlag hat des Öfteren das letzte Wort. Der Stärkere gewinnt in der Regel, deswegen kann die Devise nur lauten, in den seltensten Fällen einen ehrlichen Hauch von Schwäche zu zeigen.

Genau diese Ausgangssituation erlaubt es Katja nicht, mit ihrer ramponierten Hand zum Arzt zu gehen. Die Konsequenzen ihres Handelns sind somit jederzeit sichtbar. Ein Teufelskreis zwischen Anerkennung und eigenem Wohlergehen, weswegen sich die Figuren immer wieder voneinander entfernen, obwohl sie sich gerade erst in den Armen lagen und einander brauchten. Es werden schwarze Mauern aufgezogen, die jeden Angriff, jeden Versuch der Schwäche unbeeindruckt abprallen lassen sollen.

Doch die Fassade kann schnell einreißen. „Du rennst vor Sachen weg, ich geh erst gar nicht hin“, sagt Benni (Michelangelo Fortuzzi) zur verstummten Katja. Das sind die Momente, in denen überraschenderweise das Wort dann doch entwaffnet, wofür nicht zuletzt das passende Schauspiel eines jeden Darstellers verantwortlich ist, so authentisch treten sie auf. In diesen Situationen besitzt der Film eine selten erreichte Ehrlichkeit zu seinen Figuren, von denen andere Werke des Genres wie „Booksmart“ von Olivia Wilde nur träumen können. Dann sind die Charaktere in dem fragilen Rohzustand des heranwachsenden Geistes wie jeder Teenager es irgendwann war. Sie müssen sich für kurze Zeit nicht hinter Mauern verkriechen. Genau dann ist „Nackte Tiere“ mit seinen blanken Gefühlen voller Herzlichkeit.