The Chambermaid von Lila Avilés ist der 2018 erschienene Debüt-Langspielfilm der Regisseurin. Gabriela Cartol spielt darin Eve, ein 24-jähriges Zimmermädchen in einem gehobenen Hotel in Mexiko. Zu sehen ist sie bei ihrer alltäglichen Arbeit und bei ständig wiederkehrenden kleinen und großen Enttäuschungen sowie dabei, wie ihr die Machtverhältnisse, in denen Eve ganz unten steht, permanent vor Augen geführt werden. Eve hat einen vierjährigen Sohn, den wir aber nie zu Gesicht bekommen, denn konsequenterweise verlässt der Film das Hotel fast nie, so wie Eve es auch nicht kann. Im Laufe der Geschichte brodelt unter Eves Oberfläche zunehmend eine große Unzufriedenheit, die sehr subtil und glaubwürdig vermittelt wird.

Wer sich als Gast der Kunde in einem Hotel aufhält, erlebt meist zwar ein sauberes Zimmer, nicht aber all das, was (oder wer) diesen Zustand herstellt. Die Vorgänge, an denen Zimmer-„Mädchen“ und andere Bedienstete eines Hotels beteiligt sind, sind so unsichtbar, als befänden sie sich in einer Blackbox. Wie man an einem Computer meist nur das Gehäuse und den mehr oder weniger reibungslosen Output sieht, nicht aber die Platinen, Kabel und Rechenprozesse, so wird auch im Hotel Wert auf dieses „Gehäuse“ gelegt. Allerdings bei weitem nicht nur dort: in Zeiten von Corona scheinen die Gehäuse ganzer Gesellschaften auseinanderzufallen und „systemrelevante“ Tätigkeiten wie die von Müllabfuhr, Einzelhandel und allem, was unter Care verhandelt (und auch heute fast ausschließlich von Frauen geleistet) wird, sowie ebendiese systemtragende Stellung werden plötzlich sichtbarer. Bediensteten wie dem titelgebenden Zimmermädchen ist die Unsichtbarkeit schon seit langem eingeschrieben, wenn sie sich etwa in geheimen Gängen durch die Häuser ihrer Herren bewegten oder schlicht wie Luft behandelt werden.

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The Chambermaid verlässt aber diese Vorderbühne und zeigt die Hinterbühnen des Hotels: das Aufräumen der Zimmer, die Wäschehallen, die Aufzüge und Kantinen der Angestellten. Dass Eve aber nicht nur wie eine Maschine funktioniert, wird in kleinen Gesten deutlich: sie betrachtet den Müll der Gäste und steckt auch mal etwas davon für sich ein oder sieht sich an, welche Bücher auf den Zimmern gelesen werden. Das, was sie garantiert, nämlich Privatsphäre, ist ihr selbst nicht vergönnt: so sehen wir Eve beim Entkleiden, unter der Dusche, auf der Toilette und bei Telefonaten mit ihrem Sohn. Dass Eve und die Gäste in unterschiedlichen Welten leben, wird immer wieder klar. Da ist zum einen schlicht der Wohlstand der einen und die Selbstverständlichkeit, mit der sie Macht auswirken können (schließlich haben sie bezahlt). Aber da sind auch die andere Sprache, das sicherere Auftreten, die Gewohnheit, ein Taxi anstatt der U-Bahn zu nehmen, also all das, was die Soziologie als „Habitus“ kennt.

Nicht nur von den Gästen, auch von ihren Kolleginnen bekommt Eve ständig Happen neoliberaler Ideologie á la „jeder ist seines eigen Glückes Schmied“ hingeworfen. Mal sind die Sternzeichen schuld, dass Eve so ist, wie sie ist, ein andermal soll sie froh über ihre Situation sein, weil früher ja alles noch schlimmer war. Ein Gast spricht auf seinem Zimmer eine Naturdokumentation über Löwen mit den Worten „survival of the fittest“ ein. Die Naturalisierung eines zutiefst ungerechten status quo webt Lila Avilés virtuos in kleine Momente des Films.

The Chambermaid sieht keine Romantik im Beruf der Dienerin, keine stille Würde wie etwa bei Anthony Hopkins in Was vom Tage übrig blieb  oder Forest Withaker in Der Butler (diese beiden genossen selbstverständlich auch bedeutend mehr Privilegien). Auch der romantischen Idee der vereinigten Arbeiter steht der Film kritisch gegenüber: auf echte Freundschaft und Solidarität unter den Schwachen, wie man sie etwa aus Almodovar-Filmen kennt, kann Eve sich nicht verlassen. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, übervorteilen sich die Zimmermädchen gegenseitig. Und die meisten Figuren, die Eve freundschaftlich begegnen, wollen ihr gleichzeitig Tupperdosen oder Fidget-Spinner verkaufen.

Trotz allem hat der Film auch eine gewisse Leichtigkeit und findet immer wieder Momente des Lachens. Beinahe jede Szene verweist auf einen Kontext, der über sie hinausgeht; in dieser Hinsicht ist The Chambermaid politischer und weniger privat als etwa Roma von Alfonso Cuarón, der in einem nicht unähnlichen Milieu spielt. Mal zurückgezogen-heimlich, mal nah an Eves Gesicht verfolgen wir diesen ruhigen und intelligenten Film, der keine Schuldigen sucht, sondern eine Welt der Ohnmacht zeigt und sich die Suche nach Alternativen nicht leicht macht.