Wenn ein kleines Kind sagt, dass es gerne spielen möchte, dann ist damit in den allermeisten Fällen nichts Konkretes gemeint, sondern es geht vielmehr um den Akt an sich. Eine ziellose, aber immer nach vorne zeigende Bewegung. Was aber passiert mit Spiel und Leben eines Kindes, wenn der Stadt, in der es aufwächst, ein kaum zu ertragendes Maß an Gewalt und Zerstörung innewohnt?

In seinem Dokumentarfilm „Kabul, City in the Wind“ zeigt Aboozar Amini den Alltag eines Busfahrer (Abas) und zweier Kinder (Afshin und Benjamin) in Kabul, einer Stadt, die sich in einem eigentümlichen Zustand zwischen Terror und Lebendigkeit befindet. Der Film ist geprägt von der Allgegenwart dieser beiden Zustände, wobei vor allem der Terror nach all den Jahren zu einer Normalität geworden ist, wie es ein Mann in einem Teehaus gegen Ende des Films formuliert. Afghanistan ist ein Land, dessen Name wie nur wenige andere in den 2000er Jahren mit den Begriffen Krieg und Terror assoziiert wird. Dieser vor allem westlich geprägten Sichtweise widersetzt sich der Film vor allem bildpolitisch auf interessante Art und Weise. Denn Kabul ist ein instabiler Ort, der immer wieder Ziel von Terroranschlägen ist, doch er ist auch ein Zuhause, eine Stadt, die von Menschen mit Leben gefüllt wird.

Für dieses Leben zeigt Amini viel Interesse, wenn er den Alltag des Busfahrers darstellt, dessen Bus kaputtgeht, und dem Gläubiger auf den Fersen sind. Bis auf einige Großaufnahmen in Interviews, zeigt die Kamera die Menschen nie wirklich aus der Nähe, sondern nutzt häufig Halbtotalen. In einer wiederkehrenden Einstellung sind die beiden Kinder auf einem Plateau über der Stadt zu sehen. Der nie ganz strahlende Himmel und die enorme Größe der Stadt sind im Hintergrund zu sehen und lassen erahnen, dass nicht nur Kabul durch diese Menschen lebt, sondern sie auch untrennbar mit der Stadt und ihrer Situation verbunden sind.

Eine Grundbewegung des Films ist dabei der Gang durch die Masse. Gleich zu Beginn sehen wir den Bus durch die Stadt fahren, mehrere Male werden Personen beim Durchqueren von belebten Straßen verfolgt. Vieles geht in Kabul durcheinander, doch das erscheint selten erdrückend, die Bewohner*innen wirken wie der titelgebende Wind, der ruhig, aber beständig durch die Straßen von Kabul weht. Dabei wird deutlich, dass die Allgegenwart der Gewalt nicht zwangsläufig zu einem Rückzug ins Private führt, sondern das Leben in Kabul von einer Momenthaftigkeit geprägt ist, weil an der nächsten Ecke schon wieder ein Selbstmordattentäter warten könnte.

Die Immersion des Films wird jedoch immer wieder von Talking-Head-Momenten unterbrochen, in denen die Protagonist*innen von ihren Träumen und Ängsten berichten. Man bekommt hier den Eindruck, dass Amini sich zwischendurch versichern möchte, dass er sein Thema auch angemessen erzählt. Dabei lebt der Film von seinen Zwischentönen und den wenig absoluten Formulierungen.

Interessanterweise bekommt die Unruhe, die Kinder immer schon in sich tragen, in diesem Film eine neue Bedeutung, weil Afshin und Benjamin Dinge tun und verstehen müssen, die ihren Horizont eigentlich übersteigen, die sie aber durch das reine Erleben auf eine bestimmte Weise doch verstehen können. Ihr ständiger Bewegungsdrang ist eine treibende ästhetische Kraft des Films. In der ziellosen Spielerei und dem unbedarften Singen von Liedern über den Krieg, lässt sich ein leise flüsterndes, aber sehr tiefes Trauma erkennen, welches durch die Naivität der Kinder noch stärker wird und in manchen Momenten an den Humanismus aus Maurice Pialats berühmte Fernsehserie „La maison des bois“ (1970) erinnert, die das Leben dreier Kinder am Rande des 1. Weltkriegs erzählt.

Die Rolle der Kinder ist außerdem insofern interessant, als dass durch ihre Situation eine klassische Coming-of-Age-Erzählung unmöglich wird, da diese immer versucht, etwas darzustellen, was noch nicht in der Welt ist, wonach sich die Protagonist*in jedoch sehnt. Vor allem wenn Afshin von seinem Vater erklärt bekommt, dass er die Vaterrolle übernehmen muss und sich daran versucht, seinen jüngeren Bruder zu erziehen, wird deutlich, dass die Welt der beiden Kinder schon so existent ist, dass für die Sehnsucht nach etwas anderem oder einer Zukunft kein Raum bleibt.

Am Ende fällt Schnee vom Himmel über Kabul, welchen Afshin versucht, wegzuräumen. Ein sinnloses Unterfangen, da es immer noch weiter schneit. Ein Mann singt am Grabe seines verstorbenen Freunde und sagt, dass er am nächsten Tag wiederkäme. Denn es muss ja immer weitergehen.