„Ich mag das Monster in mir“, gibt Ewa zu. Währenddessen sitzt ihre 25-jährige Tochter Hanna neben ihr und meint, ein Leben ohne ihre Mutter sei für sie selbst besser – dabei laufen ihr Tränen über die Wangen. Tränen sind ein Zeichen von Schmerz, sagt der ihr gegenübersitzende Psychologe daraufhin.

Aus den Gesprächen der drei Protagonist*innen kristallisiert sich schnell heraus, dass sich Mutter und Tochter nicht mögen. Wie kann also eine Beziehung verbessert werden, wenn man sich selbst nur schwer akzeptieren und leiden kann? Wie kann Ewa das Verhältnis zur Tochter verbessern, wenn sie das Monster in sich weiterhin streicheln will, anstatt ihm den Kampf anzusagen? Diesen Fragen geht der Psychologe Bogdan de Barbaro in Paweł Łozińskis Film nach.

YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU ist ein Kammerspiel in fünf Sitzungen und eine Seelenreise in fünf Szenen. Mit jeder Sitzung wechseln sich die Perspektiven ab: einmal lauschen wir dem Dialog zwischen dem Psychologen und Ewa mit ihrer Perspektive auf die Vergangenheit, ein anderes Mal hören wir den Psychologen mit Hanna gemeinsam über ihre Wahrnehmung von damals sprechen. Was bisher nicht möglich war zu sagen, soll in den psychotherapeutischen Sitzungen durch einen Psychologen aufgearbeitet und geklärt werden.

Der Dokumentarfilm YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU des polnischen Regisseurs, ist das Pendant zu Lozinskis vorherigen Dokumentarfilm , in dem der Regisseur selbst mit seinem Vater in Dialog trat und so die Beziehung zwischen den beiden aufzeigte. YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU birgt Überraschungen, denn es ist nicht alles Gold, was glänzt, was wir Zuschauer*innen zu einem späteren Zeitpunkt des Films noch feststellen werden.

Denn: In YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU reden zwei fremde Frauen, die sich nicht kennen, unter professioneller Anleitung eines (echten) Psychologen miteinander. Trotzdem wirken die Gespräche glaubhaft, zum einen, weil sich authentisch wirkende Dynamiken entwickeln, zum anderen, weil man den Schauspielerinnen ihre Rollen glaubt.

Gezeigt werden alle Personen in Groß- oder Nahaufnahme, was das Publikum noch mehr in deren Erzählungen eindringen lässt. Gleichzeitig erweist sich dieses Konzept für das Publikum als anstrengend, weil wir aus den „Talking Heads“ nicht rauskommen und als Nicht-Polnischsprachige an den Untertiteln kleben, um den komplexen Dialogen zu folgen. Doch wenn das gelingt, lässt sich auch einiges lernen: über den Menschen an sich und über zwischenmenschliche oder familiäre Beziehungen im Allgemeinen.

Am Ende kann man sich fragen, wie zwei fremde Menschen so intim miteinander kommunizieren können ohne sich zu kennen. Zumal es es weder ein konkretes Drehbuch gab, noch hatte der Regisseur zu Beginn der Dreharbeiten eine konkrete Vorstellung davon, wie das Ganze endet. Nur der Psychologe wusste vermutlich von Anfang an, was das Ergebnis der fünften und letzten Sitzung sein wird, sagt Lozinski im Q&A beim goEast Filmfestival.

Der Film macht zudem Aussagen über den Unterschied zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein. Hanna weint, weil ihr das Gesagte eigentlich wehtut, und sie sich unterbewusst ein anderes Verhältnis zur Mutter (die nicht ihre ist) wünscht. Ein normales Verhältnis, dass es möglich machen soll, mit der Mutter sprechen zu können. Die Mutter wünscht sich das im Übrigen auch – was erst einmal banal und einfach klingt, ist oftmals dennoch keine Selbstverständlichkeit.

YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU ermöglicht uns ein Eintauchen in die innere (fiktionale) Gefühlswelt zweier Menschen in eine Therapiesitzung, die wir sonst nie zu sehen und hören bekommen würden. Vielleicht ist es auch eine Art Anleitung, wie wir Eltern-Kind-Konflikte betrachten und im besten Fall verbessern können.

von Britta Rotsch

NAWET NIE WIESZ, JAK BARDZO CIĘ KOCHAM (YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU/DU WEISST NICHT, WIE SEHR ICH DICH LIEBE) lief beim 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films  als Teil des Dokumentarfilm-Wettbewerbs.