Die auf dem 12. Lichter Filmfest International vorgeführten deutschen Filme „Oray“ und „Atlas“ befassen sich inhaltlich zwar mit grundverschiedenen Themen, doch einen Aspekt haben sie gemein: die Inszenierung der muslimischen Bevölkerung in Deutschland.

Mehmet Akif Büyükatalays Debütfilm „Oray“ behandelt den inneren Konflikt seines türkischen Protagonisten, nämlich jenen zwischen seinem Glauben und der Liebe zu seiner Freundin. Dabei gelingt ihm ein authentischer Blick hinter die Kulissen der Lebensweise von Muslimen, und stellt diese als Menschen mit echten Problemen und Gefühlen dar. Das in letzter Zeit entstandene, gefährliche Klischee, das dazu verführt, Muslime nur als potentielle oder tatsächliche Terroristen abzustempeln, wird gekonnt durch eine mehrdimensionale und authentische Charakterzeichnung entkräftet.

Jogginghose, Goldkette, gebrochenes Deutsch, gewaltbereit, bewaffnet, aggressiv, dümmlich, impulsiv. „Atlas“ arbeitet in seinen 100 Minuten Laufzeit wirklich jedes negative Proletenklischee ab, und entwirft dabei, anstelle eines vieldimensionalen Antagonisten (der Antagonist ist Mitglied in einem muslimischen Klan), ein gar gemeingefährliches Feindbild von Muslimen. Die winzigen Versuche zu zeigen, dass es in der Gesellschaft auch funktionierende muslimische Bürger gibt – indem beispielsweise die kleine Rolle eines rechtschaffenen Polizisten durch einen muslimischen Schauspieler besetzt wurde oder kurze Einblicke in das Familienleben gewährt werden – bleiben jedoch völlig platt und wirken wie ein kläglicher Versuch multikulturell und glaubhaft zu wirken.

In brisanten Zeiten, in denen sich extreme politische Ansichten immer weiter zuspitzen, egal ob auf dem einen oder dem anderen Ende des politischen Spektrums, hilft es keinem weiter in Populärmedien solche Feindbilder zu propagieren, besonders wenn so manch ein Zuschauer vielleicht nicht ausreichend in der Lage ist, über das Gesehene reflektiert nachzudenken und sich so womöglich in seinen Ansichten bestätigt fühlt. Ein Medium wie Film mit seiner enormen Reichweite kann hervorragend dabei helfen, Vorurteile und Klischees zu überwinden. Durch differenzierte Darstellungen von Menschen und Milieus können neue Blickwinkel eröffnet werden, die zu einem Verständnis für das Fremde führen. Fatih Akin geht dabei mit großartigen Filmen wie „Gegen die Wand“ oder „Aus dem Nichts“ voran, die sich mit dem Leben von Muslimen in Deutschland befassen, und findet damit zugleich Anklang beim Mainstreampublikum. Mehmet Akif Büyükatalays „Oray“ schlägt mit seiner Darstellung in die gleiche Kerbe wie Fatih Akin, doch ihm fehlt noch die Aufmerksamkeit der breiten Masse, die sehr wünschenswert wäre.

Ein ähnlicher Versuch, die altbackenen Stereotype abzubauen, lässt sich auch in den USA beobachten. Dort findet quasi eine Modernisierung des Blaxploitation-Genres statt, durch Regisseure wie Barry Jenkins und Jordan Peele, die mit Filmen wie „Moonlight“ oder „Get Out“ der in Amerika lebenden dunkelhäutigen Bevölkerung eine Stimme und ein Gesicht geben, um das Ablegen von Vorurteilen zu bewirken. Dabei wird auch noch gekonnt die amerikanische Geschichte hinsichtlich Sklaverei und Rassismus aufgearbeitet. Zudem beweisen diese Filme, dass Versuche einer Bewältigung solch schwerer, aber wichtiger Themen auch Erfolge im Mainstreamkino verzeichnen können.

Nötige Schritte in diese Richtung werden auch hier in Deutschland vermehrt getätigt. Die Darstellungen bestimmter Bevölkerungsgruppen wie in „Atlas“ stellen da nur einen weiteren Fels auf dem Weg in eine tolerantere Zukunft dar, der vermeidbar gewesen wäre.

Mit diesem Essay will ich „Atlas“ in keinerlei Hinsicht vorwerfen, dass er rassistisch in seiner Charakterdarstellung ist, oder es sich um einen schlechten Film handelt. Ganz im Gegenteil – ich halte ihn in vielerlei Hinsicht für einen sehr gelungenen Film. Dieser Essay soll vielmehr ein Appell an Filmemacher sein, der Versuchung mit negativen Stereotypen zu arbeiten zu widerstehen und anstelle dieser Figuren zu erschaffen, die Menschen, deren Umfeld und Geschichten lebendig und angemessen darstellen. Mehmet Akif Büyükatalays und Fatih Akins Filme sind ein großer Schritt in die richtige Richtung, um mittels Unterhaltung und Kunst Verständnis zwischen Menschen herzustellen und sie nicht nur noch weiter voneinander zu trennen.