© goEast Film Festival

Auf einem Jahrmarkt rast ein Motorradfahrer mit verbundenen Augen in einem endlosen Loop. Während ein Ansager den gefährlichen Stunt bewirbt, leuchtet Karels Gesicht zum ersten Mal auf. Dem Tod so nah zu sein, in ihn gewissermaßen hineinzufahren und ihm dabei gleichzeitig den Blick zu verwehren – das findet er faszinierend. Es ist einer der wenigen Momente im Film, die das Innenleben des sonst verschlossenen Karel preisgeben. Er ist einer dieser Helden, die so glatt sind, dass allein ihr Anblick Unbehagen auslöst. Karel ist ein erfolgreicher Turmspringer, attraktiv, Schulabsolvent mit Auszeichnung und der Stolz seiner Eltern. Im Sommer soll er in die Fußstapfen seines Vaters treten und Medizin studieren. Dazu stimmt Karel zwar mit wenig Begeisterung, aber doch pflichtbewusst zu. Er ist einer, von dem später die Nachbarn sagen würden, sie hätten nichts geahnt.

Nach dem Besuch des Jahrmarktes, entdeckt Karel die Leiche eines Jungen. Er ist vom Anblick des toten  Körpers eingenommen. In der Ferne erkennt er einen Mann, den er schnell als den Mörder identifiziert. Doch anstatt die Polizei zu rufen, beginnt er ihm nachzustellen. Bei dem Mörder handelt es sich um den Serienmörder „Rote Spinne“, der seit geraumer Zeit die polnische Stadt Krakow in Schrecken versetzt. Seine Opfer sind willkürlich, die Herangehensweise immer die gleiche. Ein Schlag auf den Hinterkopf. Als Karel herausfindet, dass der Mann ein Veterinär ist, vergiftet er den eigenen Hund, um so mit ihm in Kontakt zu treten. Zwischen den Männern entwickelt sich eine Beziehung, die man nur schwer zwischen Zuneigung, sexueller Anziehung und Lehrer-Schüler-Beziehung einordnen kann. Dieses Verhältnis entfacht immer mehr Karels Faszination mit dem Tod, die im Verlaufe des Films eher unerwartete Züge annimmt.

Und tatsächlich fällt es einem schwer zu erkennen, wohin der Film führen wird. In seinem Spielfilmdebüt unterdrückt Marcin Koszałka jeglichen emotionalen Zugang zu den Figuren. Karels Gesicht ist beizeiten unlesbar. Doch auch die emotionale Welt seiner Umgebung bleibt einem verschlossen. Auf den Bildern liegt ein dunkler Schleier, der Film spielt meist in der Nacht. Aber selbst bei Tage leben die Menschen in Koszałkas Film meist im Schatten und ohne direktes Sonnenlicht. Die wortkargen und dunklen Bilder geben dem Film einen beklemmenden Rahmen. Doch das Ungesagte in THE RED SPIDER kann man dennoch greifen. Zwischen den Bildern verharren sexuelle Spannungen, Misstrauen, kommunistisches-Polen-Paranoia und der Tod.

Konsequent folgt Koszałka seiner dokumentarischen Arbeitsweise. Die kühlen, unkommentierten Bilder ähneln seiner Arbeit an THE EXISTANCE oder DECLARATION OF IMMORTALITY. Die wenigen Dialoge wirken dennoch bisweilen ungelenk und befremdlich. Diese Schwäche wird jedoch vom starken Spiel der beiden Hauptdarsteller Filip Pławiak und Adam Woronowicz ausgeglichen. Die Begeisterung für den Tod lauert in ihren ausdruckslosen Gesichtern, die immer dann lebendig werden, wenn man es am wenigsten erwartet. Die Beklemmung bei einem selbst ist dabei so groß, dass man es kaum schafft, allzu lange hinzusehen.

Olga Galicka

THE RED SPIDER lief im Wettbewerb des goEast Film Festival 2016 und erhielt dort den Preis der Internationalen Filmkritik der FIPRESCI-Jury. Regisseur Marcin Koszałka wurde mit dem Preis für die Beste Regie der Landeshauptstadt Wiesbaden ausgezeichnet.